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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Bruder so?«
    » Anders«, sagte ich, unfähig, ein treffenderes Wort für ihn zu finden.
    » Gut«, sagte sie und fing wieder an, von einem Bein aufs andere zu hopsen.
    » Was machst du da?«, erkundigte ich mich.
    » So tun, als würde ich über Glasscherben laufen.«
    » Macht das Spaß?«
    » Probier’s doch mal aus, wenn du willst.«
    » Okay«, sagte ich und probierte es. Und seltsamerweise machte es wirklich Spaß.

Wir schauten die Spielshow The Generation Game im Fernsehen an und riefen » Kuscheltier, Kuscheltier«, als es an der Tür klingelte. Meine Mutter stand auf und blieb eine Weile weg. Sie verpasste fast den ganzen Fließband-Teil, den besten Teil, und als sie wieder hereinkam, beachtete sie uns gar nicht, sondern ging zu meinem Vater hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er sprang auf und sagte: » Joe, pass kurz auf deine Schwester auf. Wir gehen mal nach nebenan. Es dauert nicht lang.«
    » Okay«, sagte mein Bruder, und wir warteten darauf, dass die Haustür hinter meinen Eltern ins Schloss fiel. Dann sah er mich an und sagte: » Komm.«
    Es war eine kalte Nacht, die Frost versprach, und viel zu rau, um nur Hausschuhe an den Füßen zu tragen. Im Schatten der Hecke schlichen wir flink bis zu Mr Golans Haustür, deren Schloss glücklicherweise nicht zugeschnappt war. Auf der Türschwelle hielt ich inne– es war drei Monate her, seit ich sie zuletzt überschritten hatte; seither wich ich den Fragen meiner Eltern aus. Mein Bruder nahm meine Hand, und zusammen gingen wir den Flur entlang, in dem es nach alten Mänteln und abgestandenem Essen roch, auf die Küchentür zu, wohin uns das Geräusch von gedämpften Stimmen lockte, wie ein Köder.
    Mein Bruder drückte meine Hand. » Alles klar?«, flüsterte er. Die Tür war angelehnt. Esther Golan saß auf einem Stuhl, und meine Mutter telefonierte. Mein Vater stand mit dem Rücken zu uns. Niemand bemerkte unser Eintreten.
    » Wir glauben, er hat sich umgebracht«, hörten wir unsere Mutter sagen. » Ja. Da sind lauter Tabletten. Ich bin eine Nachbarin. Nein, vorher haben Sie mit seiner Schwester gesprochen. Ja, wir warten hier. Natürlich.«
    Ich blickte meinen Bruder an. Er wandte sich ab. Mein Vater ging zum Fenster, und in diesem Moment sah ich Mr Golan wieder. Er lag auf dem Boden; die Beine geschlossen, ein Arm zur Seite ausgestreckt, der andere quer über der Brust, als wäre er beim Tangotanzen gestorben. Mein Bruder versuchte noch, mich zurückzuhalten, aber ich entwischte seiner Hand und schlich mich näher ran.
    » Wo ist seine Nummer?«, fragte ich laut.
    Alle fuhren zu mir herum und starrten mich an. Meine Mutter ließ den Hörer sinken.
    » Komm da weg, Elly«, sagte mein Vater und griff nach mir.
    » Nein!«, sagte ich und machte mich los. » Wo ist seine Nummer? Die an seinem Arm? Wo ist sie?«
    Esther sah meine Mutter an. Mutter wandte sich ab. Esther breitete die Arme aus: » Komm her, Elly.«
    Ich ging zu ihr. Stellte mich vor sie hin. Sie roch nach Süßigkeiten. Türkischer Honig, vermutete ich.
    » Er hatte nie eine Nummer«, sagte sie sanft.
    » Hatte er wohl. Ich hab sie gesehen.«
    » Er hatte nie eine Nummer«, wiederholte sie leise. » Er hat sie sich immer aufgemalt, wenn er traurig war.«
    Und da wurde mir bewusst, dass die Nummer, die immer aussah, als sei sie erst gestern gemalt worden, es womöglich auch war.
    » Das versteh ich nicht«, sagte ich.
    » Das sollst du auch gar nicht«, sagte mein Vater verärgert.
    » Aber was ist dann mit diesen schlimmen Lagern?«, fragte ich.
    Esther legte mir die Hände auf die Schultern. » Oh, diese Lager gab es wirklich und auch das Grauen dort, und wir dürfen das nie vergessen.«
    Sie zog mich an sich; ihre Stimme zitterte ein wenig. » Aber Abraham war nie dort«, sagte sie und schüttelte den Kopf. » Nie dort… Er war geistig verwirrt«, fügte sie ganz beiläufig hinzu, als spreche sie über eine neue Haarfarbe. » Er kam bereits 1927 in dieses Land und hatte ein glückliches Leben. Manche würden es vielleicht auch selbstsüchtig nennen. Durch seine Musik kam er viel herum und feierte große Erfolge. Solange er seine Tabletten nahm, war er mein guter alter Abe. Aber wenn er sie nicht nahm– nun ja, dann wurde er zum Problem; für sich selbst und für andere…«
    » Warum hat er mir dann all diese Sachen erzählt?«, fragte ich, und Tränen liefen mir über die Wangen. » Warum hat er mich angelogen ?«
    Sie wollte schon etwas sagen, als sie plötzlich abrupt

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