Als Gott ein Kaninchen war
habe auch einen Knoten.«
» Wo?«, fragte sie.
Und ich zeigte auf meine Kehle, und sie zog mich an sich und hielt mich fest, und ich konnte den Lavendelduft riechen, den ihre Bluse verströmte.
» Wirst du sterben?«, fragte ich, und sie lachte, als habe ich gerade einen Witz gemacht, und dieses Lachen bedeutete mir mehr als jedes »Nein«.
Tante Nancy hatte keine Kinder. Sie mochte Kinder, zumindest sagte sie, dass sie uns mochte, doch oft hörte ich, wie meine Mutter sagte, dass in Nancys Leben wirklich kein Platz sei für Kinder. Was ich ziemlich seltsam fand, besonders, weil sie ganz allein in einer ziemlich großen Wohnung in London lebte. Nancy war ein Filmstar; kein Superstar nach heutigen Maßstäben, aber immerhin ein Filmstar. Außerdem war sie lesbisch, und das gehörte genauso zu ihr wie ihr schauspielerisches Talent.
Nancy war die jüngere Schwester meines Vaters, und sie sagte immer, er habe das Köpfchen und das Aussehen abbekommen und sie das, was dann noch übrig war. Aber wir alle wussten, dass das eine Lüge war. Wenn sie ihr Filmstarlächeln aufblitzen ließ, konnte man sehen, weshalb die Leute so verliebt in sie waren, und warum wir dann alle nur noch eine Nebenrolle spielten.
Sie war launisch; ihre Besuche oft flüchtig. Doch dann tauchte sie plötzlich einfach auf– manchmal wie aus dem Nichts–, eine feenhafte Patentante, deren einzige Aufgabe darin bestand, alles zum Guten zu wenden. Wenn sie über Nacht blieb, schlief sie bei mir im Zimmer, und ich hatte immer das Gefühl, das Leben sei irgendwie strahlender, wenn sie da war. Ihre Anwesenheit machte selbst die Stromausfälle wett, unter denen das Land damals litt. Sie war großzügig, nett, und immer roch sie geradezu himmlisch. Ich habe den Duft nie etwas Bestimmtem zuordnen können; es war einfach ihr eigener. Die Leute sagten, ich sähe aus wie sie, und obwohl ich es niemals laut aussprach, liebte ich die Tatsache, dass es stimmte. Einmal sagte mein Vater, Nancy sei zu schnell erwachsen geworden. » Wie kann man denn zu schnell erwachsen werden?«, fragte ich. Er sagte mir, ich solle das ganz schnell wieder vergessen, aber das tat ich nie.
Im Alter von achtzehn Jahren schloss Nancy sich einer radikalen Theatergruppe an. Sie tingelten in einem alten Bus durchs Land und begeisterten die Menschen in Pubs und Clubs mit ihrem Improvisationstheater. Das Theater sei ihre erste große Liebe, verkündete sie später immer in Talkshows. Dann brachen wir, die wir uns vor dem Fernseher versammelt hatten, jedes Mal in Gelächter aus und riefen: » Lügnerin!« Denn wir wussten alle, dass in Wahrheit Katherine Hepburn ihre erste große Liebe war. Nicht die Kath a rine Hepburn, sondern eine weltverdrossene, korpulente Bühnenmeisterin, die ihr nach der Aufführung des wenig verheißungsvollen Zweiakters Zur Hölle und zurück und das ist auch gut so ihre rückhaltlose Liebe gestand.
Sie waren gerade in einem kleinen Dorf irgendwo vor Nantwich, und Nancys erstes Erlebnis mit einer Frau fand in einer finsteren Seitengasse hinter einem Pub namens Hen and Squirrel statt. Normalerweise wurde der Platz als Klo benutzt, aber in jener Nacht, sagte Nancy, habe nur der Duft der Romantik in der Luft gelegen. Sie schleppten gerade ein paar Requisiten zurück zum Bus, als Katherine Hepburn Nancy plötzlich an die Mauer drückte und sie küsste, mit Zunge und allem, und Nancy ließ die Schachtel mit den Macheten fallen und keuchte angesichts des Tempos dieses weiblichen Übergriffs. Als sie es später beschrieb, sagte sie: » Es fühlte sich so natürlich und sinnlich an. Als würde ich mich selbst küssen.« Was aus dem Mund einer preisgekrönten Schauspielerin das höchste Lob sein musste.
Mein Vater hatte noch nie zuvor eine Lesbe getroffen, und unglückseligerweise sollte Katherine Hepburn die Erste sein. Denn sie entriss ihm seinen liberalen Deckmantel und enthüllte ein ganzes Arsenal von Vorurteilen. Er verstand nie, was Nancy an ihr fand. Doch alles, was Nancy dazu sagte, war, dass sie eine unglaubliche innere Schönheit besaß. Die sie nach Ansicht meines Vaters allerdings ausgesprochen gut verbarg, denn selbst bei einer mehrtägigen archäologischen Ausgrabung wäre sie nur schwer zutage befördert worden. Und irgendwie hatte er recht. Sie verbarg etwas; und zwar eine Geburtsurkunde, auf der Carole Benchley stand. Sie war ein bekennender Filmfreak, deren Fachkunde im Bereich Kino nur von ihrer Fachkunde, was das Innere von psychiatrischen
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