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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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blieb manchmal ganz plötzlich stehen, löste den Griff vom Kinderwagen, ging jedoch weiter, sobald Simone Anstalten machte, ihn zu schieben. Die Sonne sank langsam tief. Ihre Hitze aber hatte noch Kraft. Als sie sich der Anhöhe der Barlby Road näherten, war es Carla so verdammt heiß, war alles in ihrem Kopf so seltsam zusammengepresst, dass die Beine unter ihr nachgaben und sie von Erschöpfung übermannt zu Boden sank. Es war keine Ohnmacht, aber Simone bestand darauf, den Krankenwagen wieder zu rufen. Er kam zwanzig Minuten später und nahm Carla mit. Sie hatte, während sich das ferne Klingeln wieder in den Ohren meldete, nur Angst, dass Simone die Milch für Lucas nicht auf die richtige Temperatur erwärmen würde.
    Toreth erhielt einen Anruf aus dem Krankenhaus. Als sie dort eintraf, hatte Carla schon eine Blutung, eine verspätete Reaktion auf die Gehirnerschütterung durch heftige Beschleunigung. Toreth tilgte manches aus den Schilderungen, die sich Denise künftig anhören musste, in denen Toreth in dem weißlichen Zimmer die Gänseblümchen aus Carlas Haar zupfte: das Schwinden der Farbe aus Carlas Gesicht, das beängstigende Herabsinken des Mundes, die beiden fahlen Mondsicheln dort, wo die geschlossenen Lider nicht über die Augen reichten. Es gelang ihr nicht, all das in Worte zu fassen, was schließlich zu Carlas Ende geführt hatte, und auch nicht, dass der einzige Ort, an dem Toreth weiterleben konnte, die Lücke war, die in das Leben ihrer Enkelkinder gerissen wurde. Toreth hielt sie beide fest in der dunklen Nacht. Simone stand schweigend da, die Arme verschränkt, und schaute durch das neblige Fenster der Silver hinaus auf das Wasser. Denise sah ihre Mutter immer noch auf dem Rasen, mit nur einem Schuh an den Füßen, und fragte Toreth zwei Mal: »Wird sie wieder aufstehen und rumlaufen?«
    Später entdeckte der Besitzer der Walzerbahn, dass die Haltestange an Super Dan tatsächlich defekt war, was möglicherweise dazu beigetragen hatte, dass Carlas Kopf während der Ohnmacht so stark hin- und hergebaumelt war. Die Stange wurde repariert. Am Donnerstag wartete Antoney zwei Stunden auf Carla, doch sie kam nicht.
    Hinterher, als sie verstanden hatte, dass sie nicht wieder hineinkonnte, schaute Carla zu, wie ihre Mutter die restlichen Gänseblümchen aus ihrem Haar zupfte. Dann ging sie in Richtung Holland Park, zu den Blumenbeeten, und pflückte eine Tulpe für Denise. Sie lernte, dass auf dieser Ebene das Wesen der Zeit ein anderes war, dass Menschen älter oder jünger sein konnten, als sie eigentlich waren. Es war auch möglich, in Sekunden große Distanzen zu überwinden. Sie legte die Tulpe auf das Dach des Boots. Denise saß auf dem Deck, sie war älter als zuvor. Für Lucas hatte Carla nichts, nur einen Kuss, denn sie wusste noch nicht, in welche Richtung er leben wollte. Den Kuss hinterließ sie ebenfalls auf dem Dach. Dann ging sie kurz hinüber zum Hyde Park, sie hatte das Gefühl, dass sie jemanden vergessen hatte, aber sie konnte sich nicht erinnern, wen. Der Klang einer Glocke lockte sie, sie bewegte sich darauf zu. Als das Läuten aufhörte, war sie auf dem Platz nahe der Champs-Elysées, an dem sie damals mit Bluey gewesen war. Sie trug das metallische Abendkleid, das ihr die Garderobiere geschenkt hatte. Bluey saß auf derselben Bank wie damals, an jenem Abend. Auf ihrer Bank. Als sie den Platz betrat, stand er auf.
    Mensch, sagte Carla, als sie sich setzten. Das kam alles ganz schön überraschend.
    Ich warte schon ewig auf dich, sagte Bluey.
    Die Frau, die in jener Nacht eine Zigarette bei ihm geschnorrt hatte, war auch da. Sie verabschiedete sich bald schon mit einem Nicken, denn ihr Sohn hatte endlich seinen Platz bei seiner einzigen und wahren Liebe gefunden.

Epilog
    Denise bezog eine Wohnung über einer Apotheke in Queen’s Park, eine Busstrecke vom Boot entfernt. Da sie sich keinen eigenen Garten leisten konnte, trat sie der Gemeinde der Kleingärtner bei und verstellte zudem alle Fenster mit Blumenkästen. Von der Straße aus gesehen wucherte es vor ihrer Wohnung wild. Einige Jahre später dann sollten sich ihre Pläne verwirklichen. Sie eröffnete einen eigenen Laden, und gleich am Eingang warteten Eimer voller Tulpen, Calla, Brunsvigien und kühnen Anthurien auf ihre Kunden. Sie nahm an der Chelsea Flower Show teil, mit großem Erfolg, und wurde sogar als verdiente Floristin in das Verzeichnis der National Horticultural Association eingetragen. Gelegentlich besuchte sie

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