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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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hinreißenden Farbmeeren am Fuß der Platanen sammelten. Auf Lucas wartete nichts Besonderes nach dem Aufstehen, nur die neueste Ausgabe seines Lieblingsmagazins Touch , also schloss er die Augen und konzentrierte sich auf das Schaukeln, das ein vorbeifahrendes Schiff verursachte, und stellte sich dabei vor, er wäre auf dem offenen Meer, unterwegs gen Jamaika. Das tat er immer, aber an diesem Tag war das schwer. In den abebbenden Traumwogen hörte er besonders deutlich, wie der angelaufene Messinggriff der Schranktür schepperte, was Lucas eigentlich, genau wie das Ticken der Uhr neben seinem Bett oder das Knacken in den Wänden, zu überhören gewohnt war. Er drehte sich wieder auf den Rücken und wagte sich mit seinen langen dürren Beinen über die heikle Trennlinie in der Mitte vor, an der Denise klugerweise festgehalten hatte. Das Bett war, wenn er es für sich allein hatte, ein weites warmes Gestade. Sie teilten es seit dem Tod ihrer Großmutter (Lucas war zwölf, Denise sechzehn gewesen), doch aus einer tröstlichen Nähe, besonders bei Gewitter, war eine erstarrte Gewohnheit geworden. Wie sehr sich Lucas an diesem Morgen auch reckte und streckte, das Gefühl zu ersticken, ließ sich nicht abschütteln. Frackschöße peitschten im Wind. Der Kleiderschrank schepperte. Lucas musste an Edwin Starr denken, den er vor zwei Tagen in St. Albans getroffen hatte. Dann aber spürte er erleichtert, dass sich in seinem gedrängten Gemüt, während draußen der dichte Freitagsverkehr über die Ladbroke Grove rollte, langsam aber sicher etwas anderes regte – eine wohlige, willkommene Ablenkung, die verlässliche, kleine Alltagsflucht. Eine träge, doch willige Morgenerektion.
    In diesem Moment zögerte Lucas stets: aus Angst, Spuren zu hinterlassen, und Bequemlichkeit, weil er dann die Laken waschen müsste. Eine Weile ruhte seine Hand unsicher am Innern seines Oberschenkels, dann aber entschied er sich dafür, für den raschen, sechsminütigen Trip, als Einstieg in den Tag, zur Beruhigung seiner Nerven. Er hatte im Laufe der Jahre eine raffinierte Technik entwickelt, bei der er, kurz bevor er kam, die Laken wegstieß und nach oben, auf seine Brust zielte, damit sich die Feuchtigkeit auf diesen Bereich beschränkte. Deshalb zog er vorher auch immer sein T-Shirt aus. Er begann zaghaft, vor seinem geistigen Auge das Foto von Lauryn Hill, das Denise ihm nicht erlaubt hatte aufzuhängen. Er hatte keine großen Erwartungen und auch keine Lust, hinterher sauber zu machen, umso mehr überraschte ihn das plötzliche Aufschießen, die Menge. Er schrie und trat eilig die Bettwäsche fort, doch dabei verfing sich ein Fuß in den Laken. So verpasste er das Beste. Dann lag er da, mit feuchter Brust, betrogen, erschöpft, und fragte sich, wie so oft, ob es das wirklich wert war und Denise, da draußen in ihrer Blumenwelt, davon etwas ahnte.
    Wer damals dort vorbeikam, hätte es eigentlich sehen müssen. Wer von Harlesden aus den Uferweg in Richtung Osten entlangging, fast bis zur Brücke der Ladbroke Grove, sich vielleicht noch auf eine Bank setzte und hinüber zum anderen Ufer schaute, der hätte das fünfzehn Meter lange Kanalboot mit seinem verblichenen Grün und seiner leichten Neigung nach links (was am Kleiderschrank lag) eigentlich sehen müssen. Es hieß Silver, der Vorbesitzer hatte den Namen in geneigten Buchstaben auf die Bordwand geschrieben. Bullaugen glotzten aus der Kabine heraus. Den Bug umgab ein Geländer. Rechts und links der zwergenhaften Kajütentüren schimmerte dumpf ein Paar angelaufener Drachen. Das Boot war eine Altertümlichkeit; am Stahlrumpf blätterte die Farbe ab, am Heck rostete ungenutzt das Ruder. Die Silver wirkte trotz der frischen Blumen an den Fenstern, als ob sie sinken wollte, so lange lag sie dort schon. Lucas und Denise kannten kein Leben an Land, keine Haustür, der man sich näherte, ohne über ein stets ein wenig schwankendes Deck gehen zu müssen. Sie wussten nicht, wie es war, wenn man eine solche Haustür öffnete und eine Avon-Beraterin, der Gasmann oder einer der Zeugen Jehovas dort standen, denn die Avon-Beraterin, der Gasmann und die Zeugen Jehovas hatten keinen Schlüssel. Nur die Wasserzigeuner, sofern sie eine Genehmigung hatten, an dieser Stelle festzumachen, oder die Freunde der Wasserzigeuner durften durch das große schwarze Tor hindurch, das den Uferweg von der Straße trennte.
    Die Situation hatte eindeutig Vorteile (es kam kaum Werbung, der Aufdringlichkeit des Kapitalismus

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