Alta moda
aber sie war’s nicht, es war tatsächlich Leo. Er hat den Arzt eigens aufgesucht, angeblich aus Sorge um seine Mutter, und hat ausdrücklich gesagt, ihm wäre wohler, wenn sie noch eine Weile hier bliebe. Ihm wäre wohler! Wie Olivia zumute ist, wenn sie das erfährt, das ist ihm anscheinend völlig egal.«
»Sind Sie sicher, daß die Contessa es nicht schon weiß? Der Arzt wird ihr doch gesagt haben, daß er ursprünglich vorhatte, sie zu entlassen?«
»Keine Ahnung, und ich traue mich nicht, sie danach zu fragen. Wir sollen nämlich jegliche Aufregung von ihr fernhalten. Maresciallo, Sie müssen mit Leo reden.«
»Ich? Wäre es nicht besser, Sie machen das? Ich meine, als Freundin seiner Mutter…«
»Seit zwei Tagen hab ich’s versucht, aber es ist unmöglich, an der kleinen Giftspritze vorbeizukommen, die jetzt da drinnen mit ihrem scheinheiligen Lächeln die Fotografen becirct.«
»Na gut, aber wenn die Contessa nach Hause möchte, können die beiden sie schließlich nicht daran hindern.«
»Was? Caterina hat die Schlösser auswechseln lassen!
Ist Ihnen denn nichts aufgefallen? Das verschlossene Portal, der Pförtner, das ganze Brimborium? Sie hat das Zepter an sich gerissen. Olivia weiß es noch nicht, aber sie käme nicht mal ins Haus. Eine schöne Heimkehr, nach allem, was sie durchgestanden hat. Wissen Sie was, ich werde ihr vorschlagen, daß sie erst mal zu mir kommt – unter dem Vorwand, daß Tessie auch da ist und sich auf dem Land besser erholt als in der Stadt. Wenn man Olivia zu etwas überreden will, muß man ihr weismachen, es geschähe zum Wohl eines anderen. Das wirkt immer. Aber Leo, den müssen Sie übernehmen, Maresciallo. Der Junge ist ja sonst so verschlossen, aber mit Ihnen redet er, nicht wahr?«
»Na ja… einmal… war gewissermaßen ein Notfall…«
»Das hier ist auch ein Notfall! Olivia ist zwar zäh. Wie sie dieses furchtbare Erlebnis durchgestanden hat – das hätte so leicht kein zweiter geschafft. Und seit sie fieberfrei ist, scheint sie heiter und gelöst wie früher. Aber keiner ist gegen die eigenen Kinder gefeit, vor allem dann nicht, wenn man sie so sehr liebt wie Olivia. Wenn sie erfährt, was hier gelaufen ist – sie würde daran zerbrechen. Sie glauben doch nicht, daß ihr eines Tages dieses abscheuliche Interview in die Hände fallen könnte?«
»Sie hat’s schon gelesen. Die Entführer haben es ihr gezeigt, gleich als es herauskam.«
»Aber wie ich Olivia kenne, hat sie’s nicht geglaubt. Sie hat Caterina immer verteidigt, obwohl sie im tiefsten Innern eigentlich wissen müßte… Aber Leo! Wenn sie erfährt, daß er sie daheim nicht haben will… also das würde sie umbringen!«
Die Fotografen kamen aus Olivias Zimmer, und Caterina, die ihnen dicht auf den Fersen war, beteuerte ihnen, was sie Schreckliches durchgemacht habe und wie sie Tag und Nacht auf den Beinen sei, um ihrer geliebten Mutter beizustehen. Die Fotografen blickten äußerst gelangweilt drein – bis auf einen schmächtigen Rotschopf, der auch draußen auf dem Gang noch eifrig Aufnahmen von ihr machte.
»Großer Gott!« seufzte Elettra, bevor sie und der Maresciallo das Krankenzimmer betraten. Eine Schwester, die der Patientin gerade den Blutdruck gemessen hatte, sah den beiden neuen Besuchern mißbilligend entgegen: »Sie ist sehr erschöpft.«
Olivia sah nicht nur erschöpft aus, sondern ganz elend und eingefallen. Aus den weißen Kissen blickte ihnen das abgehärmte, blasse Gesicht einer alten Frau entgegen. Doch als die Freundin sich über sie beugte, erwiderte sie deren Umarmung sichtlich bewegt.
»Olivia! Mein Gott, du siehst ja furchtbar aus!«
»Nein, nein, ich fühle mich ganz gut, wirklich.« Ihre Stimme war schwach und brüchig, und das Lächeln, das sie aufsetzte, wirkte eher wie eine verzerrte Grimasse.
»Sieh mal, Olivia, der Maresciallo ist auch hier – ich weiß gar nicht, warum –, weshalb sind Sie gekommen, Maresciallo?«
»Ich wollte der Contessa nur eine Abschrift ihrer ersten Aussage bringen, damit sie sie gegenlesen und, falls ihr weitere Details einfallen sollten, vielleicht noch das eine oder andere ergänzen kann. Danach bekommt sie dann das offizielle Protokoll zur Unterschrift.«
»Tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht.« Ihre Brust hob und senkte sich krampfhaft; offenbar versuchte sie abzuhusten.
»Ich dachte, dein Husten hätte sich gebessert. Soll ich die Schwester rufen?«
»Nein, bitte nicht, Elettra. Es ist nur das Geschwür an meinem
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