Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
mich gegen die Wand, um nicht wieder im Wasser zu landen.
    Kant wollte meine Lage ausnutzen und rappelte sich auf. Ein Tritt mit meinem linken Fuß fuhr so knapp an seinem Kinn vorbei, dass er gleich wieder hinfiel. Unser Kampf wurde zum Wrestling-Spektakel. Ich sah ihn an seiner Manteltasche herumfummeln. Hatte er die Pistole doch nicht verloren?
    Lieber nicht auf die Antwort warten. Ich gab Fersengeld.
    Heizungskeller, Abstellraum, Waschküche, Hobbyraum – ich machte sie alle durch. Linksrum, rechtsrum, Gänge entlang, durch Türöffnungen hindurch. Wo ging es nach oben? Ein Schuss knallte. Ich war eine nasse Ariadne im Neuenheimer Labyrinth, und Minotaurus trug eine Waffe.
    Endlich ein Treppenaufgang. In drei Sätzen war ich oben. Mein Kopf drohte zu zerspringen. Unten sah ich von Kants Mantel durch die Kellerräume wehen. Bloß weg von hier! Ich rannte in die nächstbeste Richtung, durch den Matsch der Baustelle, an einem Betonmischer vorbei, stolperte und raffte mich wieder auf.
    Ein zweiter Schuss. In meinen Ohren vervielfältigte er sich zur Maschinengewehrsalve, doch ich rannte weiter. Schlug einen Haken. Duckte mich. Machte mich ganz klein.
    Da vorne, die Grenze des Baugeländes. Wieder der Maschendraht. Mannshoch. Ich sprang.
    Wie genau ich über den Zaun kam, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, welcher Instinkt mich gerade zu jener Stelle der Umzäunung führte. Jedenfalls landete ich auf der anderen Seite auf allen vieren, sah Blut an meinen Händen, fühlte am rechten Arm einen ziehenden Schmerz – und hätte doch laut jubeln können.
    Ich war gerettet. In Sicherheit. Im Paradies. Ich befand mich auf der Rückseite des Englischen Jägers. Wenige Meter noch, und ich betrat den einzigen Ort dieser Welt, der Ruhe und Frieden garantierte, Schutz und Wärme und billiges Bier. Hier konnte mir nichts passieren.
    Leider war Hermann von Kant anderer Meinung. Ich sah ihn hinter dem Betonmischer auftauchen, nass wie ich, mit blutverschmiertem Gesicht, aber entschlossen. Er hatte noch ein paar Kugeln, und die waren für mich bestimmt. Der Maschendraht würde ihn nicht aufhalten.
    Also weiter. Ich stürzte die kleine Treppe an der Rückseite der Kneipe nach oben, riss eine Tür auf und stand in Marias Küche. Der vertraute Geruch von Frittieröl umfing mich. Ein Blick zurück; von Kant nahm gerade Anlauf für den Sprung über den Zaun. Ich stieß die Tür zur Gaststube mit der Schulter auf, rutschte aus und schlitterte der Länge nach durch den Englischen Jäger.
    Maria schrie.
    Ich ebenfalls.
    Aber auch sonst geschah eine ganze Menge. Es war so viel, dass man zur Beschreibung der Einzelereignisse länger braucht als diese selbst. Und die Frage, wann genau der Englische Jäger morgens öffnet, ist damit auch noch nicht beantwortet. Als ich in die Kneipe stürzte, war es zehn nach zehn und der Frühschoppen in vollem Gang.
    Maria schrie also, ihre Gäste sprangen von den Stühlen.
    Meine Rutschpartie endete vor der Eingangstür, die im selben Moment von außen geöffnet wurde. In einem Buster-Keaton-Film wäre ich natürlich weitergeschlittert, durch die Tür und hinaus auf die Straße; weil es aber kein Film war, starrten mich die drei Neuankömmlinge entsetzt an und ich sie. Bevor ich erkennen konnte, was der Vorderste in der Hand hielt, war ich schon wieder auf den Beinen, um mich im hintersten Winkel der Kneipe zu verkriechen.
    »Er hat ’ne Pistole!«, brüllte ich, warf einen Stuhl um, stieß gegen den Stammtisch, stolperte und brach am Ende auf einer Bank zusammen. Das Letzte, was ich sah, war ein mir bekanntes Gesicht.
    Von nun an hörte ich nur noch: das Gezeter Marias, die Rufe ihrer Gäste, Türenknallen, Stühlerücken.
    »Weg da!«, schrie jemand mit der Stimme Robert Usedoms. Richtig, es war sein Gesicht gewesen.
    Wieder flog eine Tür auf, brüllte einer los. Gläser klirrten.
    Wo blieb der Mörder?
    Ich richtete mich ein letztes Mal auf. Im Englischen Jäger zu sterben, hatte was. Hoffentlich sah Christine das genauso.
    In der Tür zur Küche erschien Hermann von Kant. Ich schloss die Augen. Es war gut so. Alles war gut.
    Ich hörte einen Schuss und gleich darauf einen zweiten. Dann schwanden mir die Sinne.

19
     
    Der Geschmack von Whisky brachte mich wieder unter die Lebenden. Jemand stützte meine Schulter, ein anderer hielt mir ein Glas an die Lippen, weitere Jemande standen um mich herum. Im ersten Moment glaubte ich, in die Hose gemacht zu haben, aber wahrscheinlich rührte das

Weitere Kostenlose Bücher