Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
vorbei.
    »Weiter!«
    Der Hof endete an einer schütteren Hecke und einem altersschwachen Maschendrahtzaun. Dahinter begann jenes Baugelände, das Maria so viel Kummer bereitete. Irgendwo linker Hand musste der Englische Jäger liegen. Große Erdhügel waren aufgeworfen, ein Bagger stand herum, aber zu sehen war natürlich niemand. Dem Hörensagen nach ruhte auch während der Woche bisweilen die Arbeit.
    Kant suchte das Gelände mit den Augen ab. Als er niemanden entdeckte, holte er aus und trat einen der Zaunpflöcke aus Holz um.
    »Los, weiter!«, befahl er und gab mir einen Stoß in den Rücken.
    Mit den Füßen drückte ich den Zaun zu Boden und ging voran, er hinterher. Das Gelände war auf allen Seiten von Häuserzeilen umstanden; eines der vielen Karrees in Neuenheim, die mit Hamsterkäfigen für die Kleinfamilie zugepflastert werden. Nachverdichtung hieß der Vorgang in der Stadtverwaltung. Vergoldeselung in der Bauwirtschaft.
    Wir stiegen über herumliegende Bretter und Metallteile. Der Boden war vom Regen aufgeweicht. Plastikplanen raschelten unter meinen Schuhen.
    »Ist ja gut«, protestierte ich, als mich mal wieder Kants Pistole piesackte. »Wohin wollen Sie denn noch?«
    Er schwieg.
    So allmählich wurde meine Lage prekär. Wenn er mich hier umlegte, zwischen Sandhügeln und Kiesbergen, würde es niemand bemerken. Selbst ein Schuss würde ohne Effekt in dem Karree verhallen. Es knallte, man schaute kurz aus dem Küchenfenster, sah die gewohnten Baugruben, Erdaushube, Fahrzeuge, aber nicht den Mann, der hinter einem Bagger kauerte, nicht den Toten, der im Matsch lag. Fenster zu. Der Sonntagsbraten rief.
    »Hier lang!«
    Vor uns gähnte eine Grube. Ich blieb stehen. Das Fundament des zukünftigen Stadthauses war gegossen, die Kellerwandung hochgezogen. Sehnsüchtig wartete der Bau auf die Bodenplatte des Erdgeschosses. Das Regenwasser der letzten Tage stand überall, an einigen Stellen mehr als knöchelhoch. Sollte Marias Widerstand für das Stocken der Arbeit verantwortlich sein?
    Im selben Moment hörte ich ein Geräusch, das mich nach hinten sehen ließ. Dabei drehte ich unwillkürlich den Kopf zur Seite, und das war mein Glück. Wie ein Geschoss krachte die Faust des Mörders gegen meinen Schädel, erwischte mich aber nicht mit voller Wucht. Trotzdem war der Schmerz heftig. Ich geriet ins Straucheln und fiel.
    In meinem Rücken gähnte die Baugrube.
    Von dem Schlag war ich so benommen, dass ich nicht einmal schrie. Zumindest kann ich mich an keinen Schrei erinnern. Ich erinnere mich lediglich an das Dröhnen in meiner Schläfe, an die Hilflosigkeit während des Falls und den Aufprall auf dem Kellerboden. Wasser spritzte.
    Wie ein Zementsack lag ich da. Bewegungsunfähig vor Schmerz. Der Rücken, der Kopf, die Hüfte, alles tat weh. Meine Kleider sogen sich voll Wasser. Ich glaubte vergessen zu haben, wie man atmet. Dunkelheit um mich herum.
    Wo blieb der Gnadenschuss?
    Wieder spritzte Wasser. Kant musste zu mir herabgesprungen sein. Na also. Brings hinter dich, Mörder. Aber mach schnell.
    Er machte es nicht schnell. Er machte es auf seine eigene, durchdachte Weise. Ich spürte einen harten Gegenstand auf der Wange, der mein Gesicht ins Wasser drückte. Einen Gegenstand, der nach Leder roch. Und es war dieser Geruch oder das kalte Wasser, was mir meine Lebensgeister zurückgab. Von Kant wollte mich ersäufen wie einen räudigen Hund, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Mensch, den Koller hats auf dem Heimweg vom Englischen Jäger in eine Baugrube gebrezelt, würde es heißen. Und dort ist er ersoffen, sternhagelvoll, wie er war. Ersoffen mit null Promille im Blut, ja. Aber was zählte eine Autopsie gegen eine schöne Legende?
    Ich bekam keine Luft mehr. Ich hatte seinen dreckigen Schuh in der Fresse. Ich war keinen Pfifferling wert.
    Aber ich hatte einen Verbündeten: den Überraschungseffekt. Mit all meiner verbliebenen Kraft griff ich nach Kants Bein und riss es herum. Klassisch ausgehebelt nannte man das. Klatsch, lag er neben mir im Wasser. Die Pistole sonst wo, vielleicht unbrauchbar. Er kam auf die Knie, die Miene verzerrt, aber da stand ich schon über ihm und versetzte ihm einen rechten Haken, der seine Zahnreihen neu sortierte. Kants Gesichtsausdruck nach diesem Schlag werde ich nie vergessen. In seinen Pupillen der Blick des Verlierers.
    Ein Sieger war ich trotzdem nicht. Ich hatte mir zu viel zugemutet. Mir wurde schwarz vor Augen, die Beine sackten weg. Mit der Schulter lehnte ich

Weitere Kostenlose Bücher