Altstadtfest
bescheuerter, als den lieben langen Tag Pistazien zu futtern.«
»Was?«
»Sie haben ja sogar auf dem Dach neben der Mensa genascht, Sie Amateur.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sein Blick starr wurde. Amateur war wohl so ziemlich das Schlimmste, was man ihm an den Kopf werfen konnte. Fester als zuvor presste sich die Pistolenmündung gegen meine Schläfe.
»Seien Sie ruhig ein bisschen stolz auf sich«, sagte er langsam. »Ich gönne es Ihnen. Es wird eine Ihrer letzten Empfindungen hier auf Erden sein.«
»Warum haben Sie mich eigentlich beschattet? Wegen der Meldung in den Neckar-Nachrichten?«
»Ja. Und aus Langeweile. Aus purer Langeweile. Ich hatte ja nichts zu tun. Bloß zu warten, bis Klemms Nachbar, diese fettige Schwarte, sich meldete. Untätig rumsitzen ist nicht mein Ding. Ich will immer alles unter Kontrolle haben. Und Sie schienen der Einzige zu sein, der in eine andere Richtung dachte als die Öffentlichkeit. Diesem Italiener ging es nur um seine Tochter. Aber wenn Sie versuchten, denjenigen zu finden, der in Wahrheit hinter dem Anschlag steckte, konnten Sie mir gefährlich werden. Zumindest solange Klemm untergetaucht und ich noch in der Stadt war. Also habe ich einige Ihrer Schritte überwacht.«
»Und woher wussten Sie, dass Specht Kontakt mit mir aufgenommen hatte? In der OEG saßen Sie nicht.«
»Ich wurde informiert und löste das Problem auf meine Weise.«
»Informiert? Von Ihren arischen Freunden?«
Er ließ ein verächtliches Schnauben hören. »Das sind nicht meine Freunde.«
»Was sonst? Geschäftspartner?«
»Schon eher. Ich habe die Jungs angeheuert.«
»Wie kommen Sie dazu, mit Neonazis Geschäfte zu machen?«
»Das interessiert Sie natürlich«, lachte er. »Und wissen Sie, was? Ich werde es Ihnen erzählen, Koller. Damit Sie im Nirwana etwas zum Nachdenken haben.«
Den gegenüberliegenden Bürgersteig streunte ein Penner entlang. Ich kannte ihn vom Sehen, er ließ sich manchmal im Englischen Jäger blicken. Auch von Kants Augen suchten unablässig die Straße ab.
»Ich hatte über einen Schulfreund Kontakt zu der Truppe«, sagte er. »Kurios, was für Zufälle es im Leben gibt. Wenn das unser alter Klassenlehrer wüsste! Es war übrigens ein humanistisches Gymnasium. Nun, meine Auftraggeber suchten eine Handvoll entschlossener Männer, denen man die Verantwortung für den Anschlag aufladen konnte. Eine politische Gruppierung war ideal, schon wegen des Ablenkungsfaktors. Ich bot meinem Schulfreund eine Summe, die er nicht ablehnen konnte. Seine Jungs waren sofort Feuer und Flamme. Sie gründeten die Arische Front.«
»Und um wen ging es in Wirklichkeit? Wer sollte das eigentliche Opfer sein?«
Er zögerte. »Sagen wir: jemand, der meinen Auftraggebern in gewisser Weise gefährlich wurde. Zu gefährlich.«
»Ich dachte, Sie könnten mir alles verklickern, jetzt, da ich mit einem Bein im Grab stehe.«
»Könnte ich. Aber vielleicht lasse ich es lieber.« Da war es wieder, dieses Lispeln, das die sonst so korrekte Aussprache von Kants untergrub. »Nicht einmal mein Schulfreund wusste, um wen es sich handelte. Ich machte ihm klar, dass die Aktion beiden Seiten nutzen würde: dem politischen Anliegen seiner Gruppe und dem Privatinteresse meiner Auftraggeber. Seine Jungs erfuhren nicht einmal das. Für sie war ich der Chef, der den Zeitpunkt des Losschlagens bestimmte.«
»Und dann hat Ihnen Klemm alles vermasselt.«
»Was für ein Versager! Mein Schulfreund schwor auf ihn. Eine Killermaschine, behauptete er, ein absolut emotionsloser Typ. Die Idealbesetzung für den Anschlag. Und was macht der Idiot? Bekommt plötzlich Panik und stürmt los.«
»Sie hatten ihm das Kommando noch gar nicht gegeben?«
»Nein, natürlich nicht. Erst sah alles gut aus. Er ließ sich lotsen wie eine Marionette, bis hinter die Bühne. Aber als ich ihm mitteilte, dass er noch einen Moment warten müsse, gab es kein Halten mehr. Dabei hatten wir den Vorgang zigmal durchgesprochen.« Er schüttelte den Kopf. »Was für ein sinnloses Gemetzel!«
»Hätte es nach Ihrem Plan weniger Opfer geben sollen?«
»Nein, wieso? Die Zahl der Opfer interessierte mich nicht. Vier, zehn, zwölf – egal. Hauptsache, die Zielperson war darunter.«
»Hauptsache«, echote ich. Hauptsache und Nebensache, so einfach war das. Vier, zehn, zwölf – egal. Morden nach Zahlen. Das Leben ein Rechenexempel, der Mensch eine Ziffer.
Aber es half ja nichts, die Augen zu schließen und sich auf einen anderen Planeten
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