Am Anfang war das Wort
sich sozusagen auf die Fahne geschrieben, und für ein Glas Kognak verkaufte er Jecheskels Erstgeburtsrecht und schrieb in kürzester Zeit zwei perfekte Sonette, erst eins und dann noch eins, und das alles nur, um zu beweisen, daß es keine große Sache ist, ein Sonett zu schreiben.«
»Einfach so, auf der Stelle?« fragte Tuwja mit unverhülltem Staunen.
»Ja, auf der Stelle, nachdem er laut Jecheskels Sonett vorgelesen hatte, mit diesem berühmten Lächeln. Und nachdem er gelächelt hatte, verkündete er: ›Für ein Glas Kognak schreibe ich ein perfektes Sonett, wie dieses, in fünf Minuten. Ja?‹ Und die Leute um ihn herum lächelten ebenfalls, und er schrieb zwei Sonette, und zwar nicht in fünf Minuten, sondern in zwei, nach allen Regeln der Kunst, und alle wußten, daß sie nicht schlechter waren als Jecheskels. Kannst du dir das vorstellen? Und wozu? Um die Leute zu beeindrucken, die er selbst ›Dichterchen‹ nennt?«
Aharonowitsch hatte Ruchama angeschaut, die es nicht schaffte, ein erschüttertes Gesicht zu machen, dann wandte er sich wieder an Tuwja und fragte: »Bist du noch immer überzeugt, daß er deine Wertschätzung verdient? Das ist doch pure Dekadenz.«
Tuwja seufzte tief und erklärte, was für ihn zähle, das sei die andere Seite der Münze: Tiroschs offensichtlicher Mut, sein Mut, sich eine Blöße zu geben. Sein Mut, bei Vorlesungen immer seine Meinung zu sagen, sein Mut, laut auszusprechen, daß der Kaiser gar keine Kleider anhat, und für seine Kurse Themen auszuwählen, bei denen andere allein bei dem Gedanken daran erbleichen würden. »Und die Tatsache, daß seine Kurse immer randvoll sind und daß er immer einen originellen Blick auf die Dinge hat, einen neuen, anderen. Diese Dinge darf man einfach nicht vergessen«, sagte Tuwja und stand auf, um noch mehr Kaffee zu machen.
»Theater, alles nur Theater«, antwortete Aharonowitsch. »Das spielt keine Rolle«, sagte Tuwja aus der Küche. »Was zählt, ist, daß er ein großer Dichter ist, wie es keinen anderen gibt, außer vielleicht Bialik und Alterman. Nicht einmal Awidan und Sach sind so gut wie er, und deshalb bin ich bereit, ihm alles zu verzeihen, oder jedenfalls vieles. Der Mann ist einfach ein Genie, und Genies sind etwas anderes. Sie unterliegen anderen Gesetzen.« Dann kam er mit dem Kaffee zurück und fing von der Prüfung an, auf die er sich schon seit zwei Wochen vorbereitete.
Das war in ihrem ersten Jahr in Jerusalem gewesen. Tuwja hatte sich für ein Jahr vom Kibbuz beurlauben lassen, um in Jerusalem bei Tirosch zu studieren; dann verlängerte er, um auch das zweite, für die Promotion erforderliche Examen zu machen. Aharonowitsch kannte er noch von früher, als er für das erste Examen gelernt hatte, um Lehrer im Kibbuz zu werden. Und im ersten Jahr war Aharonowitsch noch Juniordozent, der verzweifelt versuchte, eine feste Stelle zu bekommen, und Tuwja gegenüber eine Väterlichkeit an den Tag legte, die dieser sich bereitwillig gefallen ließ.
Tirosch hatte seine Einführung beendet, und nun stand Tuwja auf, um seinen Vortrag zu halten. Ruchama war nicht zu Hause gewesen, als er sich auf den Weg zur Vorlesung gemacht hatte, aber sie wußte auch so, daß er sich dafür nicht umziehen würde. Das kurzärmlige Hemd ließ zwei magere, blasse Oberarme sehen und verbarg nur mit Mühe den kleinen Bauch. Schweißtropfen perlten auf seiner hohen Stirn, an der Strähnen seines farblosen Haars klebten.
Er mußte die erste Vorlesung halten. Nach ihm würde Ido Duda'i sprechen, einer der jungen Dozenten des Fachbereichs, dessen Doktorarbeit, die er bei Professor Tirosch schrieb, große Erwartungen weckte.
Im Vergleich zu Scha'ul, dachte Ruchama – nicht zum ersten Mal –, sieht Tuwja aus wie eine bescheidene Ausgabe von Sancho Pansa. Nur daß Scha'ul natürlich nicht Don Quichotte ist. Allein die Stimme, dachte sie enttäuscht, zeigt deutlich den Unterschied.
Die Stimme ihres Mannes, der seinen Vortrag zum Thema »Was ist ein gutes Gedicht?« begonnen hatte, brach, als er mit Pathos das Gedicht Zufälliger Ausflug ins Grab meines Herzens von Scha'ul Tirosch las. In diesem Gedicht drückte Tirosch nach Ansicht der Kritiker seine »verborgene romantisch-makabre Lebensauffassung« aus. Die Kritiker betonten die »erstaunlich originellen Bilder« und sprachen von »linguistischen Errungenschaften und neuen Themen«, mit denen Tirosch die Lyrik der fünfziger Jahre revolutioniert habe. Natürlich sei er nicht der einzige
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