Am Anfang war das Wort
»obgleich er sich einen hebräischen Namen zugelegt hat. Scha'ul Tirosch! Ich frage mich, ob sich jemand an seinen ursprünglichen Namen erinnert. jedenfalls bin ich sicher, daß er sich nur ungern an ihn erinnert: Pavel Czasni. Wußtest du das?« Mit roten, zusammengekniffenen Augen hatte er sich zu Tuwja umgedreht. Damals hatten die anderen noch nicht aufgehört, in Tuwjas Anwesenheit über Tirosch zu sprechen, und verhielten sich ihm gegenüber noch nicht so, als leide er an irgendeiner geheimnisvollen Krankheit.
»Pavel Czasni«, hatte Aharonowitsch mit unverhohlenem Vergnügen weitergesprochen, »so hieß er ursprünglich, obgleich ich nicht annehme, daß er gern daran denkt. Ich glaube, er ist überzeugt, daß sich keine Menschenseele mehr daran erinnert. Diejenigen, die Bescheid wissen, sagen, es sei seine erste Handlung hier im Land gewesen, seinen Namen zu ändern.«
Ruchama hatte das, was Aharonowitsch sagte, nie ernst nehmen können, immer mußte sie ein Lächeln unterdrükken. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob seine Art zu sprechen Teil einer Inszenierung war oder ob er nicht wußte, daß es eine andere Art der Kommunikation gab. Besonders amüsierte sie die Art, wie er Wörter wie zum Beispiel »obgleich« oder »andrerseits« mit seinem ashkenasischen Akzent aussprach.
Schon damals hatte Tuwja gesagt: »Was macht das schon? Warum kümmert ihr euch um solche unwichtigen Einzelheiten? Wichtig ist doch nur, daß dieser Mann ein großer Dichter ist, daß er über Bildung und Wissen verfügt wie keiner von uns. Er ist der brillanteste Lehrer, den ich je hatte, ein Mann, der absolut zwischen gut und schlecht unterscheiden kann. Angenommen, er hatte es nötig, sich zu einer Legende hochzustilisieren: Was stört euch das?« So hatte Tuwja damals gesprochen, mit derselben Gradlinigkeit und Einfachheit, die für ihn so typisch waren, bevor ein großer, dunkler Schatten auf seine Welt fiel und er seinen Weg verlor.
Damals, als dieses Gespräch stattfand, hatte Tuwja Aharonowitsch noch gemocht und ihm so vertraut, daß er zu seinem engeren Bekanntenkreis gehört hatte und er ihn oft zu sich nach Hause einlud. »Stimmt, stimmt, ich gebe es zu«, antwortete Aharonowitsch, »aber da gibt's auch noch ein paar andere Sachen. Ich ertrage es nicht, wie die Frauen ihm nachlaufen, vor ihm auf die Knie fallen, wie sie seinem Charme erliegen, ich ertrage ihre hypnotisierten Blicke nicht, wenn er sie anschaut.« Mit einem tiefen Seufzer fügte er hinzu: »Es stimmt, dieser Mann kann zwischen einem guten und einem schlechten Gedicht unterscheiden, es stimmt auch, daß er der geistige Vater und der Beschützer junger Dichter ist – aber, mein Freund, vergiß nicht: Nur wenn sie ihm gefallen, nur dann. Wenn sie ihm nicht gefallen – dann gnade ihnen Gott. Wenn Tirosch einen Dichter ›mittelmäßig‹ nennt, dann sollte dieser sich in Sack und Asche kleiden und sein Glück anderswo suchen. Einmal habe ich mitbekommen, wie dieser edle Mensch einen demütigen Bittsteller ohne Gnade abgewiesen hat. Mit unbewegtem Gesicht und steinernen Augen hat er verkündet: Junger Mann, das ist es nicht. Sie sind kein Dichter, und Sie werden vermutlich nie einer sein.‹ Ich frage euch: Woher weiß Tirosch das? Ist er ein Prophet?« Er wandte sich an Tuwja, seine Augen wurden noch röter, und seine Spucke sprühte bis zu Ruchama, als er rief: »Du wirst nicht drauf kommen, um wen es sich gehandelt hat.« Dann nannte er den Namen eines ziemlich bekannten Dichters, dessen Gedichte Tuwja nie besonders beeindruckt hatten.
»Dann war da noch die Geschichte mit dem Sonett, kennst du sie?« Aharonowitsch wartete die Antwort nicht ab, es war unmöglich, ihn zu bremsen.
»Nachdem Jecheskels erstes Buch erschienen war, hat man ihm zu Ehren zu einer literarischen Veranstaltung im Keller von ›Habima‹ in Tel Aviv eingeladen. Es wurden Gedichte von ihm gelesen, Reden gehalten, und dann gingen wir alle in ein Café, natürlich in das, das gerade in Mode war, wo die Dichter zu sitzen pflegten. Wir waren eine große Gruppe, auch Dichter, ich könnte euch den Namen eines Dichters nennen, dessen Gedichte Jecheskel sehr bewundert.«
»Wer?« fragte Tuwja.
»Wer schon? Der Herr, von dem wir sprechen und den du verehrst, Tirosch. Also, Jecheskel war der glücklichste Mensch auf Erden. Aber ein Mann wie unser Freund ist keiner, der einen anderen glücklich sehen und dabei den Mund halten kann, und schließlich sagt er immer die Wahrheit, das hat er
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