Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
Vom Netzwerk:
ersten Stau gab es bei den Milchprodukten; die Frischmilch war ausgegangen und aufgebrachte Kundinnen standen herum und warteten auf Nachschub.
    Dann eben H-Milch, war mir egal. Joghurt, Sahne, Schokopudding, Butter.
    Bei Wurst und Käse die Mega-Schlange. Ich versuchte, das Ende zu finden.
    »Stellen Sie sich gefälligst hinten an!« keifte eine Kundin und preßte hektisch ihren Einkaufswagen in die kleine Lücke vor mir. Ich schluckte. Sie hatte sich eindeutig vorgedrängt, aber ich scheute Auseinandersetzungen vor Publikum.
    Vor mir entdeckte ich ein paar bekannte Gesichter und grüßte mit einem Lächeln oder ein paar freundlichen Worten. Man kannte sich, schließlich lief man sich mindestens einmal pro Woche über den Weg.
    Als mein Wagen vollgepackt war, steuerte ich die Kasse an. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Von den fünf Kassen waren nur drei besetzt, die Schlangen reichten durch den halben Laden.
    Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging nach vorne.
    »Könnten Sie bitte eine zusätzliche Kasse öffnen?« bat ich eine der Kassiererinnen.
    Sie warf mir einen genervten Blick zu und sprach in ein Mikrofon, das vor ihr installiert war.
    »Bitte Kasse vier besetzen, Kasse vier, bitte!«
    Erleichtert kehrte ich zu meinem Einkaufswagen zurück, da drängten sich blitzschnell zehn Leute vor und stellten sich bei Kasse vier an. Jetzt waren alle drei Schlangen ein klein wenig kürzer, aber ich stand immer noch ganz hinten. »Also, das ist doch …«, begann ich entrüstet. Ein paar Kunden drehten sich zu mir um, der Satz blieb mir im Hals stecken, ich lief rot an und schwieg. Immer wieder passierte mir das, und jedesmal ärgerte ich mich über mich selbst. Ich hatte einfach nicht den Mumm, laut und deutlich meine Meinung zu sagen. Statt dessen schluckte ich den Ärger runter und hatte hinterher Magenschmerzen.
    Verärgert schob ich meinen Wagen Zentimeter für Zentimeter nach vorne. Kurz bevor ich dran war, knallte mir von hinten ein Einkaufswagen in die Fersen.
    »Aua!« schrie ich auf und drehte mich um. Der kaugummikauende Schnösel, der den Wagen schob, schaute unbeteiligt in die Gegend.
    Vorwurfsvoll sah ich ihn an und wartete auf eine Entschuldigung. Der Typ beachtete mich nicht. Ich hatte Lust, ihn vor allen Leuten anzuschreien, statt dessen murmelte ich halblaut: »Sie haben mir weh getan!«
    Er schaute immer noch so, als wäre er nicht gemeint.
    Warum reagierte der nicht, der arrogante Kerl? Ich fühlte mich hilflos und blamiert, mein Gesicht glühte, und am liebsten hätte ich angefangen zu heulen.
    Endlich war ich dran. Frau Nessinger, die Kassiererin, grüßte. Sie war die Mutter von Jonas’ Freund Goofy.
    Energisch schrubbte sie meine Waren über das elektronische Lesegerät.
    »Und, kriegen Sie viel Besuch über die Feiertage?«
    fragte sie mit Blick auf meinen Großeinkauf.
    »Ja, meine Mutter kommt«, antwortete ich und schrieb einen Scheck aus.
    »Na dann, frohes Fest!« wünschte sie lächelnd.
    Ich weiß nicht, warum, aber mir kam ihr Lächeln schadenfroh vor.
    Einen Tag vor Weihnachten begann das Jucken an meinem Auge. Ich kannte es schon, es war eine Urtikaria.
    Eine quälende Hautreizung, die immer gleichzeitig mit meiner Mutter auftrat, manchmal sogar schon vor ihr.
    Queen Mum kannte mich eigentlich nur mit juckendem, tränendem rechten Auge, und jedesmal, wenn sie kam, sah sie mich mitleidig an und meinte: »Kind, das ist ja chronisch geworden, warst du mal beim Arzt?«
    Klar war ich beim Arzt gewesen, und nicht nur bei einem. Ich kannte sämtliche Ärzte in der Hautklinik und einige in der Augenklinik; ich war bei drei Homöopathen gewesen, bei einem Heilpraktiker und einer Schamanin.
    Keiner hatte mir helfen können, aber dafür hatte ich es jetzt schwarz auf weiß. Ich hatte eine »lokal begrenzte, psychosomatisch bedingte Nesselsucht.« Im Klartext: Eine Allergie gegen meine Mutter.
    Morgen sollte Queen Mum also kommen, und wie meistens war meine Allergie schneller. Sie begann ganz außen im Augenwinkel, wanderte langsam bogenförmig um mein Auge herum und stieß fast bis an die Nasenwurzel. Winzige Bläschen bildeten sich auf der geröteten Haut, und es juckte zum Wahnsinnigwerden.
    Begonnen hatte es mit Lucys Geburt.

    Ich liege wie ein Häufchen Elend in meinem Krankenhausbett, fix und fertig nach fünfundzwanzig Stunden Wehen, und ahne vage, daß dieses rotgesichtige, schnaufende Wesen neben mir meine hoffnungsvolle Jugend soeben abrupt beendet hat.
    Meine Mutter rauscht

Weitere Kostenlose Bücher