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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Eins
     
    Das Verhängnis näherte sich unaufhaltsam. Es würde über mich hereinbrechen wie jedes Jahr, und ich würde es nicht aufhalten können.
    Oder doch?
    Ich nahm einen Schluck Kaffee, schmierte mir noch ein Brötchen und warf einen Blick auf die Zeitung, hinter der sich Friedrich, mein Mann, verschanzt hatte. Draußen war alles grau in grau. Ein typisch deutscher Winter.
    In einer Woche war Weihnachten.
    »Was machen wir diesmal?« fragte ich die Zeitung.
    »Was meinst du?« vernahm ich Friedrichs Stimme hinter der Wand aus Papier.
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    »Ach so, das. Keine Ahnung.«
    »Wie war’s mit Karibik?« schlug ich vor.
    »Zu teuer. Außerdem …«
    »… die Kinder wollen einen Weihnachtsbaum und Geschenke und Schnee und nicht im Sonnenschein unter einer Palme sitzen, ich weiß«, beendete ich seinen Satz.
    Ich kannte diese Unterhaltung. Wir führten sie jedes Jahr.
    »Ich könnte Lamm kochen«, fuhr ich fort. »Sie erträgt den Geruch nicht.«
    »Ich auch nicht.«
    »Einer von uns könnte eine infektiöse Lungenentzündung bekommen!«
    »Lungenentzündung ist nicht ansteckend. Wenn du nicht willst, daß sie kommt, dann sag es ihr.«
    »Ich traue mich nicht«, jammerte ich, »sie ist meine Mutter.«
    Endlich ließ Friedrich die Zeitung sinken.
    »Mein Gott, Anna, jedes Jahr das gleiche Theater! Es wird schon nicht so schlimm werden. Bisher hast du jedes Weihnachtsfest überstanden.«
    Klar, mit einer Nervenkrise. Friedrich fand es gar nicht so übel, wenn Queen Mum zu Besuch kam. Das hing vermutlich damit zusammen, daß wir dann immer besonders leidenschaftlichen Sex hatten. Es machte mir Spaß, meine Mutter in Verlegenheit zu bringen, indem ich besonders laut stöhnte und schrie, so daß sie es im Zimmer gegenüber hören mußte.
    Friedrich hielt mir die Seite mit Immobilien-Anzeigen unter die Nase. »Wir sollten endlich aufs Land ziehen.«
    Wir wohnten in einer Vorort-Reihenhaussiedlung, die die Nachteile des Stadtlebens mit den Nachteilen des Landlebens verband, ohne einen einzigen ihrer Vorteile aufzuweisen. Es gab eine Menge Autolärm und Abgase, weil jede Familie glaubte, mindestens zwei Autos besitzen zu müssen, und gleichzeitig gab es weit und breit keine anständige Kneipe, kein Kino und außer einem Supermarkt keinen einzigen Laden. Zugegeben, wir hatten, wovon viele Leute träumen: einen Garten. Nur hatte ich leider nicht den geringsten Sinn für Gartenpflege, und so wucherten ein paar Stauden und Büsche, die noch von unseren Vormietern stammten, ungehindert vor sich hin. Hie und da wurde der Rasen gemäht, und im Sommer stellte ich ein paar Töpfe mit Rosen und Begonien auf die Terrasse. Ich hätte am liebsten mitten in der Stadt gewohnt, aber Friedrich hatte sich bisher all meinen Überredungsversuchen standhaft widersetzt.

    »Denk an die Kinder!« ermahnte er mich jetzt wieder.
    »Die Kinder?« Ich lachte auf. »Glaubst du, Lucy will mit Bauernjungs in der Dorfdisco knutschen?«
    »Knutschen?« Mein Mann sah mich entgeistert an.
    »Lucy ist fünfzehn!«
    »Wann hattest du deinen ersten Zungenkuß?«
    »Mit elf.«
    »Na bitte. Und Jonas hat mir gestern mitgeteilt, daß er beabsichtigt, demnächst einen Computerkurs zu machen.
    Das könnte er auf dem Land bestimmt auch nicht.«
    »Computerkurs? Der kann doch noch nicht mal lesen!«
    »Erstens kann er es fast schon, und zweitens bedient er deinen PC wie ein Alter. Kürzlich hat er einen ganzen Nachmittag »Tetris« gespielt.«
    »Ich konnte mit fünf übrigens auch schon lesen, das hat er von mir«, sagte Friedrich stolz.
    Ich stand auf, um neue Butter zu holen. Im Vorbeigehen küßte ich ihn auf seinen schütter werdenden Haarschopf.
    »Du warst ja sowieso ein Wunderkind!«
    Unser Sohn war zum Glück einigermaßen normal.
    Vorausgesetzt, es ist normal, daß ein Fünfjähriger mit einem Vogelbestimmungsbuch und dem Fernglas durch den Garten rennt.
    Lucy jedenfalls war die normalste Fünfzehnjährige, die man sich vorstellen kann. Aufsässig, frech und miserabel in der Schule. Ich fragte mich, ob ich in diesem Alter auch so unausstehlich gewesen war. In ein paar Tagen würde ich Gelegenheit haben, mich bei meiner Mutter danach zu erkundigen.
    »Wo sind sie überhaupt?« Friedrich sah sich erstaunt um, als habe er jetzt erst bemerkt, welch himmlische Ruhe diesen Sonntagmorgen auszeichnete.
    Lucy hatte bei ihrer Freundin übernachtet, und Jonas war schon seit acht bei Goofy, seinem Freund aus der

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