Am Ende der Welten - 16
zuckten echte Blitze, krachender Donner ertönte. Das Licht im Raum flackerte - nicht nur wegen der Blitze, sondern auch wegen der Unterbrechung der Energieströme im Innern der Bannform. Die Fensterfront flackerte hin und her zwischen gleißender Helligkeit und pechschwarzer Finsternis.
Nicci fühlte sich, als gingen beide mächtigen Entladungen donnernd mitten durch ihren Körper. Sie begriff nicht, wieso sie überhaupt noch am Leben war. Die einzige Erklärung war, dass Richard den Bann abschaltete, ohne ihn gleichzeitig zu zerstören. Er löschte ihn ganz methodisch, so wie man nacheinander die Dochte einer Reihe von Kerzen erstickte.
Versunken in Konzentration, ließ Richard seine andere Hand weiter nach unten sinken und blockierte eine weitere Linie. Die Linie erlosch und raste durch das komplizierte Geflecht zurück. Sich angesichts der Schwierigkeit des Unterfangens unter großen Mühen vorarbeitend, immer wieder die Arme beugend, um seine neugeborenen Muskeln zu erproben, begann der Schatten der Bestie aus der Unterwelt herauszutreten und sich ein Stück weit in die Welt des Lebens hineinzuwagen. Reißer blitzten im Schein der Lampen auf, als seine Kiefer auseinanderklafften. Die anderen hatten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Linien rings um Nicci gerichtet, daher bemerkten sie nichts davon. Richard riegelte ein ganzes Flechtwerk von Linien mit einer Sperre ab und schob behutsam einen Finger dazwischen, um ein davor liegendes Stützwerk abzukoppeln.
Jetzt begann das gesamte Netz, nicht nur seiner wichtigsten Stützkonstruktion, sondern seines inneren Zusammenhalts beraubt, auseinander zufallen. Winkel weiteten sich, Knotenpunkte lösten sich auf, sodass die sie verbindenden Linien schlaff durchhingen. Andere Linien berührten einander, lösten beim Kontakt sprühende Funken gleißend hellen Lichtes aus, die wiederum weitere Linien dunkel werden ließen.
Bis das Geflecht der noch verbliebenen Linien wie ein herabfallender Vorhang völlig unvermittelt in sich zusammenfiel. Nicci konnte fühlen, wie das ihren gesamten Körper durchziehende Energiegeflecht von ihr abfiel. Die herunterfallenden Linien aus Licht stürzten auf die Huldigung und erloschen und waren schon im nächsten Augenblick verschwunden.
Befreit von dem Gewirr, fiel Nicci abrupt auf die Tischplatte und sog wie in einem nach innen gerichteten Schrei keuchend Luft in ihre Lungen. Da ihre Beine nicht die Kraft hatten, sie zu stützen, sackte sie in sich zusammen und rutschte über die Tischkante.
Als sie herunterfiel, fing Richard sie in seinen Armen auf. Ihr Gewicht ließ ihn auf ein Knie sinken, doch er konnte das Gleichgewicht wahren, schlang beide Arme um sie und verhinderte so, dass sie auf den Steinfußboden schlug. Draußen gaben die Blitze jegliche Zurückhaltung auf und erhellten den Raum immer wieder mit Schüben flackernden Lichts. In diesem Augenblick schälte sich die Bestie, ein seelenloses, nur zu einem einzigen Zweck erschaffenes Geschöpf, vollends aus dem Totenreich und trat in die Welt des Lebens ein. Und stürzte sich geradewegs auf Richard. Nicci, schlaff und hilflos in Richards Armen hängend, konnte sich anstrengen, so viel sie wollte, sie schaffte es einfach nicht, genügend Kräfte zu mobilisieren, um ihn vor der Bestie zu warnen, die im Begriff war, sich auf ihn zu stürzen. Ihren letzten Atemzug hätte sie dafür hergegeben, diese Warnung auszurichten, nur bekam sie in diesem Augenblick nicht einmal Luft.
Schließlich war es Cara, die sich mit ihrem ganzen Gewicht der attackierenden Bestie entgegenwarf, die ungeheure Wucht des Angriffs ablenkte und Richard vor einem tödlichen Zusammenprall bewahrte. Die Fänge der Bestie schnappten ins Leere, als sie Richard unter lautem Getöse verfehlte, nur ihre Krallen bohrten sich hinten an der Schulter in sein Fleisch. Durch Caras Körpereinsatz aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte die Bestie an Richard vorbei und stürzte Kopf voran in eines der schweren Regale. Knochen, Bücher und Schatullen purzelten in chaotischem Durcheinander zu Boden. Knurrend kam das Wesen, die Reißer gebleckt, die Muskeln angespannt, wieder auf die Beine und richtete sich einen Moment lang zu seiner vollen Größe auf. Es überragte Richard um einen glatten Fuß und war nahezu doppelt so breit in den Schultern. Knochige Wülste markierten seinen buckligen Rücken, und über den Muskeln spannte wie bei einem Leichnam eine dunkle ledrige Haut. Es war ein Wesen, das nicht wirklich lebendig
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