Am Ende der Welten - 16
die Ablehnung all dessen zu erlangen, was Wissen tatsächlich ausmacht. Aus diesem Grund setzt die Imperiale Ordnung Glauben mit Heiligkeit gleich, und deshalb betrachtet man sein Fehlen als Sünde. Deswegen ist schon das Infragestellen des Glaubens ketzerisch. Denn ohne Glauben fällt alles, was sie lehren, in sich zusammen. Und da der Glaube der unverzichtbare Klebstoff ist, der das unsicher wankende Gebäude ihrer Lehren zusammenhält, bringt der Glaube am Ende nichts anderes hervor als nackte Brutalität. Ohne diese Brutalität, mit der man ihn gewaltsam durchsetzt, bliebe von diesem Glauben am Ende nichts weiter als ein unwirklicher Tagtraum oder auch der nichtige Glaube einer Königin, niemand werde ihr den Thron streitig machen, kein Feind werde die Grenzen übertreten, keine Streitmacht sei imstande, ihre Beschützer zu vernichten, solange sie dies nur von sich weist.«
Nicci starrte in die Ferne. »Ich bin von Geburt an mit den Lehren der Imperialen Ordnung aufgewachsen und trotzdem zur Vernunft gekommen«, flüsterte sie schließlich. »Aber ihr alle könnt euch nicht vorstellen, wie unglaublich schwer es mir gefallen ist, dieses Reich der düsteren Glaubensüberzeugungen zu verlassen. Ich bezweifle, dass jemand, der sich nie in diese erdrückende Welt der Lehren des Ordens verirrt hat, auch nur ansatzweise begreifen kann, was es heißt zu glauben, das eigene Leben sei nichtswürdig und ohne jeden Wert, oder sich vorstellen kann, welch grauenhafter Schatten sich jedes Mal über einen legt, wenn man versucht, sich von dem abzukehren, was einem als einzig mögliche Rettung eingetrichtert worden ist.«
Ihr jetzt tränenfeuchter Blick wanderte zögerlich zu Richard. Er wusste Bescheid, er war dort gewesen. Er kannte das Gefühl. »Letztendlich bin ich erlöst worden«, setzte sie mit leiser, brechender Stimme hinzu, »aber es war alles andere als einfach.« Jebra schien aus etwas neuen Mut zu schöpfen, das, wie Richard wusste, keinerlei Anlass dazu bot. »Aber wenn es bei Euch funktioniert hat«, sagte sie, »funktioniert es vielleicht auch bei anderen.«
»Sie ist anders als die meisten, die unter dem Bann der Imperialen Ordnung stehen«, erklärte Richard mit einem Blick in Niccis blaue Augen - Augen, die auf ganz unverhohlen emotionale Weise verrieten, wie viel er ihr bedeutete. »Sie war von dem Drang getrieben zu begreifen, zu wissen, ob das, was man sie zu glauben gelehrt hatte, wahr war oder ob das Leben mehr zu bieten hat. Ob es vielleicht etwas gab, für das es sich zu leben lohnte. Die meisten, die den Lehren der Imperialen Ordnung ausgesetzt sind, hegen solche Zweifel nicht. Sie sperren solche Fragen aus und klammern sich stattdessen zäh an ihre Glaubensüberzeugungen.«
»Aber was sagt Euch, dass sie sich niemals ändern werden?« Jebra war offenbar nicht bereit, diesen Strohhalm der Hoffnung aufzugeben. »Wenn Nicci sich geändert hat, warum dann nicht auch andere?«
Den Blick noch immer auf Niccis Augen gerichtet, sagte Richard: »Ich glaube, sie sind deshalb in der Lage, jeden Zweifel an ihrem Glauben auszusperren, weil sie ihre Lehren längst so verinnerlicht haben, dass sie sie nicht mehr als besonderes Gedankengut betrachten, das man ihnen eingetrichtert hat. Sie fangen an, das ihnen beigebrachte Gedankengut als eigene Gefühle zu erleben, aus denen schließlich eine starke emotionale Überzeugung erwächst. In ihrem Innersten sind sie überzeugt, eigene, unabhängige Gedanken zu erfahren, und nicht die heimlichen Einflüsterungen aus ihrer Jugendzeit.«
Mit einem Räuspern löste Nicci ihren Blick von ihm und richtete ihr Augenmerk wieder auf Jebra.
»Ich glaube, Richard hat recht. Ich war mir dieses Umstandes in meinem Denken bewusst, dieser inneren Überzeugung, die in Wahrheit aus einer sorgfältig gewählten Methode der Bevormundung hervorgegangen ist.
Manche Menschen, die insgeheim sehr an ihrem Leben hängen, sind bereit, sich einer Revolte anzuschließen, sofern sie erkennen, dass eine realistische Chance auf den Sieg besteht - genau das ist in Altur’Rang geschehen. Besteht diese Chance hingegen nicht, wissen sie, dass sie die Worte herunterbeten müssen, die die Anhänger der Imperialen Ordnung hören wollen, wenn sie nicht ihren wertvollsten Besitz, ihr Leben, verlieren wollen. Unter dem Regime der Imperialen Ordnung glaubt man, was einem beigebracht wird, oder man kommt um. So einfach ist das. Wer …« Gereizt hob Shota die Hand und schnitt Nicci das Wort ab. »Ja, ja,
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