Am Helllichten Tag
zur Mitwisserin eines Verbrechens machen.
Im Grunde verstand Nathalie selbst nicht mehr, warum sie auf die Idee gekommen war, Kristien um Unterschlupf zu bitten.
Also stand sie auf und ging.
Vor einer Viertelstunde hat sie das Autoradio angeschaltet. Je schneller die Musik wird, desto stärker tritt sie das Gaspedal durch. Als sie es merkt, stellt sie das Radio ab. Sie darf auf keinen Fall riskieren, wegen einer Geschwindigkeitsübertretung angehalten oder geblitzt zu werden.
Die Autobahn ist voll, aber es bildet sich kein Stau, nur hin und wieder gerät der Verkehr ins Stocken.
Dass Robbie eingeschlafen ist, passt gut – so kommt sie zügig voran.
In den Nachrichten war keine Rede von einem Leichenfund in einem abgelegenen Brabanter Landhaus. Mit ein bisschen Glück kann sie etwas Vorsprung herausholen.
Immer wenn sie daran denkt, was am Vormittag passiert ist, geht ihr Atem schneller, und das Herz setzt einen Schlag aus. Sie kann nach wie vor kaum fassen, dass sie einen Mord begangen hat.
Ihre Hände umklammern das Lenkrad. Nein, im Grunde war es kein Mord, sondern Notwehr. Auch wenn nicht sie angegriffen wurde, sondern Robbie. Und weil sich ein Baby nicht verteidigen kann, musste sie den Kleinen schützen. Es war eine Reflexhandlung …
Früher hatte sie für Kinder nicht viel übrig und Vincent erst recht nicht, weil Babygeschrei ihn stets in Rage brachte.
Sie hatte sich so gut wie möglich um das Kind gekümmert, wenn auch zunächst eher aus Pflichtgefühl. Die erste Zeit war ihr das Baby ziemlich gleichgültig gewesen, doch das änderte sich bald. Allmählich gewann sie den Kleinen richtig lieb, und als Vincent heute auf ihn losging, regte sich ihr Mutterinstinkt. Dass er sie immer wieder schlug, war etwas anderes, daran war sie gewöhnt, aber dass er sich auf ein vollkommen hilfloses Wesen stürzte, konnte sie einfach nicht zulassen.
Als sie Vincent mit grimmiger Miene auf die Couch zugehen sah, versuchte sie, ihn zurückzuhalten. Er stieß sie so grob weg, dass sie stürzte. Ihr Blick fiel auf die Lampe mit dem schweren gusseisernen Fuß. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang sie auf, packte die Lampe und ließ sie auf Vincents Kopf nieder sausen.
Er brach sofort zusammen. Aus seinem Hinterkopf quoll Blut und tropfte in den hochflorigen Teppich.
Sie hätte die Wundränder zusammendrücken können, um die Blutung zu stoppen und dann einen Krankenwagen zu rufen. Stattdessen stand sie mit dem weinenden Kind auf dem Arm da und starrte wie gelähmt auf ihren am Boden liegenden Lebensgefährten.
Plötzlich hörte Robbie auf zu weinen, so als hätte er begriffen, dass sie ihn beschützt hatte.
Dann dämmerte ihr, was sie da angerichtet hatte. Sie sah Probleme auf sich zukommen, aber auch eine riesengroße Chance: Sie war frei! Wie lange, hing davon ab, wie geschickt sie vorging.
Der Schlag mit dem Lampenfuß war so heftig gewesen, dass Robbie und sie Blutspritzer abbekommen hatten. Sie rannte mit dem Kleinen nach oben, wusch ihn, zog ihn um und duschte anschließend selbst.
Ihre schmutzige weiße Leinenhose und das Sommertop stopfte sie in einen grauen Müllsack und warf, wieder im Wohn zimmer, auch die Tischlampe hinein.
Sie deponierte den Sack im Kofferraum des Autos und ging wieder ins Haus.
Innerhalb kürzester Zeit packte sie ihre Sachen, räumte den Tresor im Arbeitszimmer leer und suchte zusammen, was sie für Robbie brauchte.
Wie ein Wirbelwind fegte sie durchs Haus, und als sie die Tür hinter sich zuzog, war weniger als eine halbe Stunde vergangen, seit sie Vincent den Schädel eingeschlagen hatte.
2
Düsseldorf liegt bereits hinter ihr, als sie eine Raststätte ansteuert. Robbie ist aufgewacht und hat angefangen zu quengeln. Er muss etwas essen, also ist sie gezwungen, eine Pause einzulegen. Sie selbst hat auch Hunger. Außerdem ist sie müde von der langen Fahrt, die Glieder sind steif, und der Rücken schmerzt.
Nathalie fährt zur Tankstelle, hält neben einer Zapfsäule und tankt voll. Beim Zahlen nimmt sie noch rasch eine Flasche Mineralwasser und eine Tüte Paprikachips aus dem Regal. Zurück im Auto, schreit Robbie wie am Spieß; sie versucht vergeblich, ihn zu beruhigen. Langsam fährt sie weiter zum Park platz. Mit einer Hand öffnet sie die Heckklappe, legt Robbie in den Kofferraum und wechselt routiniert die Windel.
Ihr Blick bleibt an dem grauen Plastiksack hängen. Sie muss ihn unbedingt loswerden. Neben der Tankstelle hat sie einen Müllcontainer gesehen. Vielleicht
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