Am Helllichten Tag
kann sie den Sack nachher hineinwerfen, wenn weniger Leute unterwegs sind. Aber es ist Ferienzeit, und auf der Raststätte herrscht Hochbetrieb.
Sie nimmt die Reisetasche vom Rücksitz und geht mit Robbie zu einer Picknickbank. Dort versucht sie, ihm ein paar Löffel Gemüsebrei einzuflößen. Er scheint ihm nicht zu schmecken, ebenso wenig wie die kalt angerührte Milch aus der Nuckelflasche. Nachdem er eine Weile laut protestiert hat, findet er sich mit der dürftigen Kost ab. Er isst das ganze Gläschen leer und saugt dann so gierig am Fläschchen, als wäre er am Verdursten.
»Langsam, mein Schatz!«, mahnt Nathalie. Fasziniert sieht sie ihm beim Trinken zu. Als sie plötzlich jemand von der Seite anspricht, erschreckt sie sich fast zu Tode.
»Sie haben anscheinend keinen Autositz für das Kind?«
Es dauert einen Moment, bis ihr klar wird, dass sie von der Landsmännin neben ihr nichts zu befürchten hat.
»Ich habe gesehen, wie Sie Ihr Baby vorhin aus dem Auto genommen haben. Hat es etwa auf dem Beifahrersitz gelegen? Sie wissen hoffentlich, wie gefährlich das ist! Wenn Sie plötz lich scharf bremsen müssen, fällt das Kind runter oder fliegt womöglich gegen die Windschutzscheibe.« Ihr missbilligender Tonfall ist nicht zu überhören. »Wahrscheinlich fragen Sie sich, was mich das überhaupt angeht, aber ich kann so etwas einfach nicht mit ansehen. Ich habe drei Enkelkinder, und mein Schwiegersohn hat sie auch immer ohne Kindersitz im Auto mitgenommen. Bis er einen Unfall hatte. Zum Glück sind die Kinder mit ein paar blauen Flecken davongekommen, aber genauso gut hätten sie …«
»Ja«, sagt Nathalie schnell. »Sie haben völlig recht. Vielen Dank.«
Die Frau wirkt unschlüssig, ob sie gekränkt sein soll, weil Nathalie ihr ins Wort gefallen ist, oder zufrieden, weil sie ihr bei gepflichtet hat. Sie holt Luft, um noch etwas zu sagen, aber Nathalie schenkt ihr ein entwaffnendes Lächeln. »Ich kaufe noch heute einen Kindersitz, versprochen!«
»Mir geht es nur um das Kind«, sagt die Frau im Gehen. »Denn am Ende sind immer die Kinder die Leidtragenden.«
Nathalie lächelt ihr noch einmal zu.
»Blöde Kuh«, murmelt sie dann, während sie Robbie das Gesicht abwischt.
Nathalie kann solche Besserwisserinnen nicht ausstehen. Außerdem wird sich diese Frau garantiert an sie erinnern, wenn nach ihr gefahndet wird. Mehr noch, sie wird sogar noch wissen, an welcher Raststätte sie sie gesehen hat.
Nathalie seufzt laut. Den Müllsack wird sie lieber woanders wegwerfen.
Eine halbe Stunde später ist sie wieder auf der Autobahn. Robbie liegt auf seiner Decke am Boden und spielt mit einem Frotteeteddy.
Nathalie nimmt sich vor, bei der ersten Gelegenheit einen Kindersitz zu kaufen. Auf keinen Fall darf sie erneut auffallen. Beim nächsten Mal ist es womöglich ein Polizist, der sie auf das Baby anspricht.
Kurz vor Köln fällt ihr ein grellbuntes Plakat am Straßenrand auf, das für ein Einkaufszentrum wirbt. Sie nimmt die Ausfahrt und folgt den Hinweisschildern.
Gleich neben dem Supermarktkomplex steht ein blaues Gebäude mit der Aufschrift BABYLAND .
Nach einer knappen Stunde steht Nathalie an der Kasse. Ihre Einkäufe – Babyspielzeug, eine Packung Wegwerfwin deln, ein Reisebett, ein Buggy und ein Maxi-Cosi – bezahlt sie bar.
Auf dem Weg zum Auto fällt ihr Blick auf einen Müllcontainer am Rand des Parkplatzes.
Sie wirft den Plastiksack hinein.
Minuten später ist sie wieder auf der Autobahn.
Inzwischen weiß sie, wohin sie will: ins Ferienhaus ihrer Eltern in Italien. Sie war jahrelang nicht mehr dort, aber die Adresse kennt sie auswendig, also dürfte es mit dem Navi kein Problem sein, dorthin zu kommen. Irgendwann wird die Polizei das mit dem Ferienhaus sicherlich herausfinden, aber mit etwas Glück dauert das noch eine Weile.
Auf den Schildern über der Autobahn ist jetzt Frankfurt angeschrieben. Die Strecke führt an Feldern mit hoch stehendem Mais vorbei. Die eintönige Landschaft wirkt wie hypnotisierend, und allmählich kommt Nathalie zur Ruhe.
Die Stimme aus dem Navi holt sie wieder in die Wirklichkeit zurück, fordert sie vor einem Autobahnkreuz auf, sich rechtzeitig einzuordnen.
Robbie ist nach dem Abstecher ins BABYLAND in seinem neuen Kindersitz eingeschlafen. Nathalie dagegen fühlt sich noch kein bisschen müde. Notfalls kann sie die ganze Nacht durchfahren. Mit jedem Kilometer, den das Auto zurücklegt, entfernt sie sich weiter von Vincent.
Vielleicht ist die Polizei
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