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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Charlie
Levenson mit herzlichen Geburtstagswünschen … «Ist das nicht rührend,
Einstein? Ich habe große Lust, auf das Wohl unseres Freundes und Nachbarn
Charlie Levenson zu trinken … Aber erst mal scharf nachdenken: Seit sechs
Monaten haben wir keinen Tropfen mehr … Was sagst du – seit acht Monaten? Na
ja, auch möglich. Jedenfalls ist’s lange her … Einerseits ’ne Schande,
rückfällig zu werden; aber … Es wäre doch andererseits auch höchst rüpelhaft,
nicht auf die Gesundheit unseres braven Charlie zu trinken … Was sagst du? Ich
kann nicht mehr aufhören, wenn ich einmal angefangen hab? Möglich, aber wie
weiß man das, alter Junge, wenn man nicht von Zeit zu Zeit die Probe aufs
Exempel macht? Und schließlich ist es ja auch nicht unsere Schuld – wir wollten
brav ins Labor gehen, und da fliegt uns das Ding aus heiterem Himmel in den Schoß
… Ich bitte dich, das ist doch ein Wink des Schicksals. Besonders heute Abend.
Und morgen ist Samstag, da können wir ausschlafen … Was meinst du? Levenson
wird seine Flasche vermissen? Das ist ja gerade der Witz an der Sache, Junge!
Charlie kommt erst spät von der Synagoge nach Hause. Und am Versöhnungstag
trinkt er nichts. Morgen kaufen wir ihm eine neue Flasche, und er wird nie
etwas erfahren …»
    Er schraubte den Deckel ab und nippte versuchsweise. «Ich
hab dir’s ja gleich gesagt, Einstein: Die beste Sorte.» Er nahm einen zweiten
Schluck und setzte den Deckel wieder auf. «Das fegt einem die Spinnweben aus
dem Hirn. Und heute brauchen wir einen besonders klaren Kopf.» Er legte die
Flasche ins Handschuhfach und fuhr an.
    Unterwegs hielt er mehrmals an, um auf Charlies Wohl zu trinken.
Einmal hupte jemand laut hinter ihm; er erschrak und schlug so scharf rechts
ein, dass das Rad den Bordstein streifte und der Wagen nach links schleuderte.
Erneutes Hupen; dann überholte der andere. Man konnte ihn fluchen hören.
    «Muss das Fenster offen haben», folgerte Hirsh
scharfsinnig. «Weißt du, Einstein, der Verkehr auf Fernstraße 128 ist nichts für uns … Der Kopf ist zwar klar, aber die
Reflexe … Wie wär’s, wenn wir mal anhalten würden? Ein paar hundert Meter vor
dem Labor ist ein Rastplatz. Dort können wir verschnaufen.»
    Er hielt den Wagen an. Ungelenk fingerte er an der
Verpackung herum, riss schließlich ungeduldig das Papier von der Flasche und
warf es samt der Schachtel im Schwung aus dem Fenster. «Man muss seine Grenzen
kennen – das ist die ganze Kunst.» Er stellte den Motor ab und löschte die Scheinwerfer.
«In ’ner halben Stunde sind wir wieder fit. Erst ein kleines Nickerchen, und
dann auf ins Labor … Merk dir, Einstein, alter Knabe, ich weiß es aus Erfahrung
– mein Hirn funktioniert wie ein Computer, sobald ich wieder wach bin.»
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    6
     
    Die Smalls kamen gerade noch rechtzeitig im Tempel an. Miriam
trat mit ein paar Nachzüglern durch das Hauptportal ein. Der Rabbi eilte durch
eine Seitentür, die über eine enge Treppe zum Ankleidezimmer neben dem
Synagogenraum führte. Das Zimmer diente gleichzeitig zum Aufbewahren von alten
Gebetbüchern, leeren Blumenkörben, Notenstapeln mit lithurgischer Musik und
zwei Drahtrollen, die der Elektriker liegen gelassen hatte, als der Bau vor
drei Jahren fertig gestellt wurde. Der Rabbi legte Mantel und Hut ab, setzte
sein Käppchen auf und zog den weißen Talar an. Da es keinen Stuhl gab, lehnte
er sich an den Schrank und tauschte die Straßenschuhe gegen weiße Turnschuhe
aus – die moderne Kompromisslösung für das alte Gesetz, das das Tragen von
Lederschuhen am Versöhnungstag verbietet. Schließlich legte er den seidenen
Gebetsmantel um die Schultern, warf einen raschen Blick in den Spiegel und
öffnete die Tür zum Podium vorn im Synagogenraum.
    Links und rechts der Bundeslade standen je zwei rote Samtstühle
mit hoher Lehne. Auf der einen Seite saßen der Vizepräsident und der Kantor;
die beiden Plätze neben dem Ankleideraum waren für den Rabbi und den
Gemeindevorsteher, Mortimer Schwarz, bestimmt.
    «Das war aber höchste Eisenbahn, Rabbi», sagte Schwarz. «Ein
Wunder, dass Sie noch einen Parkplatz gefunden haben.» Er war ein großer,
jugendlicher Fünfziger mit dünnem grauschwarzem Haar, das er nach hinten
gekämmt trug, um die hohe Stirn noch mehr zu betonen. Er hatte ein langes, schmales
Gesicht und eine fein geschwungene Nase. Der kleine Mund mit den vollen Lippen
schien wie zum Kuss zugespitzt. Er war

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