Henker-Beichte
Drei Uhr morgens!
Selbst eine Stadt wie Paris mußte mal durchatmen, um für den neuen Tag wieder Kraft zu schöpfen, und so war es in der Millionenmetropole an der Seine ziemlich ruhig geworden, was sich aber in den nächsten Stunden rasch wieder ändern würde.
Die nächtliche Ruhe breitete sich nicht allein in der Oberwelt aus, auch in der Unterwelt der Stadt herrschte nicht mehr diese Hektik. Die Bahnen fuhren seltener, und wer sich jetzt in den Schächten herumtrieb, gehörte entweder zu den Frühaufstehern oder zu denen, die die Nacht unten in den warmen Schächten verbracht hatten.
Geisterhafte Züge rauschten durch die Tunnels, fuhren die Bahnsteige an und wirkten in dieser Leere wie Wesen aus Stahl und Glas, die aus der Zukunft gekommen waren, um zurück in die Vergangenheit zu fahren.
In einem der Wagen saß Auguste Cresson!
Er hockte zusammengesunken auf der Bank, hatte viel Platz und fühlte sich trotzdem nicht wohl, denn immer wieder hob er den Kopf und schaute sich um. Dabei zuckte er jedesmal zusammen, sein Gesicht verzog sich, und er wirkte sehr ängstlich.
Sein Gesicht war schweißnaß. Er fuhr die Stationen ab, wäre gern an einer ausgestiegen und in seine Wohnung gegangen, doch er traute sich nicht mehr nach Hause. Der Fluch hatte ihn eingeholt. Der Ruch seiner Vergangenheit, die für ihn mit Blut und Tod geschrieben worden war.
Jetzt war Cresson alt geworden, aber nicht zu alt, um sich schon mit dem Tod abfinden zu können. Er wollte leben! Achtundfünfzig war doch noch kein Alter. Im Spiegel schaute er allerdings wesentlich älter aus. Sein Gesicht schwamm darin. Die Züge blieben nicht klar, Sie verzerrten sich und nahmen plötzlich den Ausdruck einer anderen Person an.
Die Haut dunkelte nach, wurde schwarzbraun, und seine Augen weiteten sich. Das Weiße war jetzt deutlicher zu sehen. Gleichzeitig erschien auf der Stirn die bunte Bemalung, und die Lippen nahmen an Dicke sowie an Breite zu. Auch die Nase wurde wulstiger, die Oberlippe drängte sich in die Höhe. Eine Zahnreihe war zu sehen. Sie schimmerte gelblichweiß.
Nein, das war nicht er, das war ein anderes Gesicht, das sich im Spiegel abzeichnete. Eine Fratze, die Cresson hatte vergessen wollen, aber nicht vergessen konnte, da der Fluch stärker war und ihn selbst in seinem Heimatland verfolgte.
Cresson stöhnte auf. Er hob die Arme an und preßte für einen Moment seine kräftigen Hände gegen das Gesicht. Sehr schnell sanken sie wieder nach unten, und so konnte er abermals in den Spiegel schauen.
Die Fratze war verschwunden. Cresson sah wieder sein Gesicht. Alles war okay. Er brauchte keine Furcht mehr zu haben. Das andere Gesicht hatte er sich wohl nur eingebildet, glaubte er. Alles Quatsch! Ich mache mir was vor, es gibt ihn nicht wirklich, es sind einzig und allein meine bösen Träume, die mich da verfolgen. Ich muß mich zusammenreißen und ruhig bleiben!
Er wußte, wie die Dinge standen, und doch brachte er es nicht so fertig, wie er es sich vorgenommen hatte. Denn es gab nicht nur die Tage, es kamen auch die Nächte, und sie waren für ihn schlimm. In der trügerischen Ruhe breiteten sich die Bilder der Vergangenheit aus. Sie wurden immer klarer, beinahe schon brutal klar, so daß der Mann seine Schwierigkeiten hatte, damit zurechtzukommen.
Er fröstelte. Er dachte plötzlich an sein Leben, während der Zug in eine Station nahe Montmartre einlief, aber nur einen Fahrgast entließ. Drei Leute stiegen in den ersten Wagen ein.
Auguste Cresson war froh darüber, daß sie vorne eingestiegen waren, denn er wollte möglichst allein bleiben. In jedem Mitreisenden sah er einen potentiellen Feind.
Er kannte die Stärke seiner Gegner zwar nicht genau, aber er wußte schon, daß sie mit allen Wassern und auch magischen Tricks gewaschen waren, um ihre Rache vollenden zu können. Dabei hatte er gehofft, ihr entgehen zu können, aber die blutigen Jahre in Afrika ließen sich nicht so ohne weiteres wegwischen. Sie waren für sein Leben prägend gewesen und würden es sogar noch bleiben.
Der Zug war wieder angefahren und hineingeglitten in den nächsten Tunnel. Wieder erschienen vor den Fenstern die dunklen Schatten, und Cresson wollte nicht mehr hinschauen. Manchmal hatte er den Eindruck gehabt, als wären Lücken in die Schatten hineingerissen worden, in denen sich dann Gesichterzeigten.
Die Gesichter der Toten, umrahmt von kleinen Blutseen, in denen sie lagen.
Er fluchte.
Er wischte über sein Gesicht.
Er drehte seinen
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