Amber-Zyklus 09 - Ritter der Schatten: der Titel
dieses an die richtige Person weiterzugeben.«
Sie lachte wieder. Ich schmunzelte ebenfalls bei dem Gedanken daran, wie dieser dressierte Seehund sich auf eine derart plumpe Weise an den echten Künstler herangemacht hatte.
»Das lag natürlich daran, daß er erkannt hatte, daß Rinaldo reich war«, fuhr sie fort. »Victor war zu dieser Zeit wie üblich, pleite. Rinaldo zeigte jedoch kein Interesse, und kurz danach hörte er einfach auf, weiter Unterricht bei ihm zu nehmen - da er das Gefühl hatte, daß er alles gelernt hatte, was der andere ihm beibringen konnte. Als er mir jedoch später von dem Mann erzählte, erkannte ich, daß man diesen hervorragend als Werkzeug benutzen könnte. Ich war überzeugt davon, daß eine so veranlagte Person alles tun würde, um den Geschmack echter Macht zu kosten.«
Ich nickte.
»Dann hast du zusammen mit Rinaldo diese Heimsuchungs-Geschichte inszeniert. Ihr habt abwechselnd seinen Geist benebelt und ihm ein paar echte Dinge beigebracht?«
»Ziemlich echt«, sagte sie, »obwohl ich mich in erster Linie selbst um seine Ausbildung gekümmert habe. Rinaldo war meistens zusehr mit den Vorbereitungen auf seine Prüfungen beschäftigt. Seine Durchschnittsnoten waren im allgemeinen ein wenig besser als die deinen, nicht wahr?«
»Er bekam meistens recht gute Zensuren«, räumte ich ein. »Wenn du davon sprichst, Melman mit Macht zu versehen und ihn als Werkzeug zu benutzen, mache ich mir unweigerlich Gedanken über den Grund: Du wolltest ihn darauf abrichten, mich umzubringen, und zwar auf eine besonders farbenprächtige Art und Weise.«
Sie lächelte.
»Ja«, bestätigte sie, »wenn auch wahrscheinlich nicht so, wie du denkst. Er wußte von dir, und er war darauf dressiert worden, eine Rolle in deinem Opferdasein zu spielen. Doch an jenem Tag, als er einen entsprechenden Versuch unternahm, handelte er auf eigene Faust, also an jenem Tag, als du ihn umbrachtest. Er war vor einem solchen Alleingang gewarnt worden, und er bezahlte den Preis dafür. Er war gierig danach, die gesamte Macht zu erlangen, die seiner Meinung nach dabei abfallen würde, anstatt sie mit jemand anderem zu teilen. Wie ich sagte - ein Arschloch!«
Ich wollte ungerührt erscheinen, damit sie nicht aufhörte zu reden. Die Fortsetzung meines Mahls erschien mir als das beste Mittel, diese Gleichgültigkeit zu demonstrieren. Als ich den Blick senkte, stellte ich jedoch fest, daß mein Suppenteller verschwunden war. Ich nahm ein Brötchen, brach es auf und war im Begriff, es mit Butter zu bestreichen, als ich merkte, daß
meine Hand zitterte. Im nächsten Augenblick wurde mir bewußt, daß das daran lag, daß ich sie am liebsten erwürgt hätte.
Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus, dann trank sie noch einen Schluck Wein. Eine Vorspeisenplatte erschien vor mir, und ein dezenter Duft von Knoblauch und verschiedenen verlockenden Kräutern geboten mir zu schweigen. Ich nickte Mandor dankbar zu, und Jasra tat dasselbe. Im nächsten Moment bestrich ich das Brötchen mit Butter.
Einige Mundvoll später sagte ich: »Ich muß gestehen, daß ich nicht ganz begreife. Du sagst, daß Melman eine Rolle in meiner rituellen Abschlachtung spielen sollte - nur eine Rolle unter anderen?«
Sie hörte zunächst nicht auf zu essen, etwa eine halbe Minute lang, dann ließ sie sich zu einem weiteren Lächeln herab.
»Es war eine derart günstige Gelegenheit, daß ich sie nicht ungenutzt lassen konnte«, erklärte sie schließlich, »als du mit Julia Schluß gemacht hast und sie sich dem Okkulten zuwandte. Ich erkannte, daß ich sie mit Victor zusammenbringen mußte, damit er sie unterrichtete und ihr einige einfache Dinge beibrachte, um aus ihrem Kummer über eure Trennung Kapital zu schlagen und ihn in einen ausgewachsenen Haß zu verwandeln, damit sie bereit wäre, dir die Kehle durchzuschneiden, wenn die Zeit für das Opfer gekommen wäre.«
Ich würgte an etwas, das normalerweise köstlich geschmeckt hätte.
Ein gefrosteter Kristallkelch mit Wasser erschien neben meiner rechten Hand. Ich hob ihn und spülte alles hinunter. Dann nahm ich noch einen Schluck.
»Oh, diese Reaktion ist jedenfalls zumindest etwas wert«, bemerkte Jasra. »Du mußt zugeben, daß es der Rache Würze verleiht, wenn man jemanden als Vollstrecker hat, den man einst liebte.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, daß Mandor nickte. Und auch ich mußte eingestehen, daß sie recht hatte.
»Ich muß zugeben, daß das eine sehr geschickt verschleierte
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