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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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hätte zu ihnen aufschließen und sie beide packen und etwas schütteln und ich weiß nicht was sollen, vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Wäre ihnen jemand anderes gefolgt, hätte der das Problem, das ich jetzt habe, aber außer mir hat sich niemand dafür interessiert, was los war, nicht einmal Kröger, da waren bloß ich und die Sonne, die nur noch wenige Zentimeter über dem Horizont schwebte und Bartosz und Renia in ein fiebrig rotes Licht tauchte, sie einfärbte, wie sie über die Brücke schritten und noch immer hoffte ich, vielleicht gehen sie ja doch nach Hause, einfach nur nach Hause, aber da bogen sie ab, betraten die Wiese vor der alten Stadtbefestigung, schlitterten hinunter in den Graben, der die Bastionen umgab, durchquerten ihn und kletterten schließlich wieder empor, mit langsamen Schritten, feierlich wirkte das, als würden sie eine Zeremonie begehen.
     
    Von der kleinen Wegkreuzung aus sah ich, wie Bartosz und Renia vor einer Öffnung im Hang stehen geblieben waren, sich noch immer an den Händen hielten, einander kurz küssten und, als die Sonne hinter der Bastion verschwunden war, sich bückten und hineinstiegen. Da musste ich beinahe lachen: Es war ein Liebesversteck, dachte ich, nichts weiter, und ich war hinter ihnen hergeschlichen wie ein perverser Idiot, dabei wollten sie nur ihre Ruhe.
    Als aber plötzlich kein Geräusch mehr zu hören war, kein Rutschen auf Kieseln, kein Schaben von Schuhsohlen auf Backstein, nicht mal mehr Gemurmel, da kam es mir komisch vor, und ich bin hinunter zum Loch, durch den Graben und hinauf zum Hang. Dort, an der Öffnung, sah ich lediglich einen Haufen weggebrochenerZiegelsteine, ein paar alte Bierdosen und einen zerrissenen Pullover, dunkel war es in dem Loch, und es stank nach Fledermausdreck. Ich steckte meinen Kopf in die Öffnung, rief ihre Namen, Bartosz, rief ich, Renia, aber es kam keine Antwort, und da ahnte ich, dass es niemanden gab in dieser Höhle, so dumpf klang nur ein Ort, an dem seit langer Zeit niemand gewesen war, und dabei hatte ich sie doch hineingehen sehen, einwandfrei, wohin sollten sie denn sonst verschwunden sein?
    Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass die Höhle wie vermutet leer war, erkannte aber einen Verlauf, ein schmales Gewölbe, das vom Eingang fort führte, da zwängte ich mich tiefer hinein, mit den Beinen voran, rief wieder ihre Namen, aber es war Stille, die mich umgab, Stille und Leere, und schließlich blieb ich mit der Hüfte stecken. Da passte niemand hindurch, kein Mann und keine Frau und kein Kind, niemand, und als ich das begriff, spürte ich, wie mein Herz einen Schlag lang aussetzte. Dann befreite ich mich wieder, riss mir dabei die Hose auf, stieß meinen Kopf an der Decke und wand mich aus dem Loch ins Freie.
    Draußen angekommen, holte ich tief Luft. Ich rannte die Bastion hinauf. Mein Herz hämmerte. Als ich oben auf der Kuppe angekommen war, breitete sich unter mir die Stadt aus: die vermüllten Grundstücke, der kleine Park auf dem Platz, die alten Kasernen, etwas weiter weg die große Backsteinkirche, und viel, viel weiter entfernt die Kräne der Werft. Ich drehte mich um, suchte nach zwei Gestalten, die, einander an der Hand haltend, irgendwohin gingen, zaudernd, unsicher, aber da waren bloß die alten Damen mit ihren Pekinesen, ein paar Jugendliche mit Bierdosen in den Händen und ein Junge,der ein Fahrrad schob, und das war alles an Leben in einem Radius von mindestens einem Kilometer, nichts war da, rein gar nichts, was Bartosz und Renia auch nur im Entferntesten geähnelt hätte. Renia und Bartosz waren verschwunden, einfach so, in die Stadt hinein, in ihre Gedärme waren sie gekrochen und nicht wieder aufgetaucht. Ich formte meine Hände zu einem Trichter und schrie ihre Namen in den Wind, immer wieder: Renia, Bartosz, in alle Himmelsrichtungen, so lange, bis ich heiser war, aber nichts geschah, niemand tauchte plötzlich wieder auf, lachte breit über das ganze Gesicht und freute sich über einen gelungenen Streich, den man mir gespielt hatte, nichts wurde plötzlich wieder gut und löste sich auf in Friede und Wohlgefallen.
     
    Wenn ich gleich den Stift aus der Hand lege und Bronkas Gesicht im Türspalt erscheint, wird sie die Zettel überfliegen und mir nicht glauben, da bin ich mir sicher. Aber so und nicht anders ist es passiert.
    Draußen, auf der Straße, rauschen die Fliederbüsche und die Kastanienbäume, ein schwacher Geruch von Teer und

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