0953 - Der Vampirwolf
Es lebt in den Köpfen der Menschen. Es existierte in den uralten Sagen und Legenden, es wurde flüsternd von Generation zu Generation weitergetragen, dabei immer etwas hinzugedichtet, aber die Prinzipien blieben doch gleich.
Das Unheil hatte in diesem Land eine gewisse Gestalt angenommen. Es gab die bösen Mächte, die düsteren Erbschaften schrecklicher Blutsauger und Dämonen. All das Spektrum des Unheimlichen war in den oft sehr menschenleeren Gegenden existent geblieben.
Die Leute lebten sehr stark mit der Natur zusammen. Sie waren miteinander verbunden, als wollten sie eine große Kette bilden, obwohl sie sich vor den Unbillen fürchteten. Aber sie lebten damit und würden auch weiterhin damit leben müssen.
Und es gab einige wenige, die immer wieder versuchten, sich dem Unheil in den Weg zu stellen, um es von den Menschen fernzuhalten, es zu verdammen oder zu begraben.
Zu ihnen gehörte der Pope Dragan Samescu!
Er war ein Mann, der fest in seinem Glauben lebte und darin verankert war. Er haßte diese bösen, heimtückischen Mächte, und wo immer es möglich war, versuchte er, sie zu bekämpfen.
In seinem Leben hatte er schon viel durchgemacht. Er hatte sie alle kennengelernt, die Bösen, die Guten, die dazwischen, und er hatte es immer verstanden, seine eigene Existenz so einzurichten, daß er sich vor dem Herrgott nicht zu schämen brauchte.
Aber auch er war alt geworden. Fast siebzig Jahre zählte Samescu jetzt, und er war des Kämpfens müde geworden, obwohl er - das gestand er sich ein - nicht allzu viel erreicht hatte. Das Böse existierte immer noch, und es würde auch nach seinem Tod noch weiterhin existieren. Ausrotten konnte man es nie.
Man konnte aber, und das hatte er getan, ihm immer wieder gewisse Nadelstiche versetzen. Sich mit seinen Dienern und Abarten auseinandersetzen, von denen es so zahlreiche gab, daß man sie überhaupt nicht mehr zählen konnte. Aus diesem Grunde hatte sich der Pope auf einen Teil dieses Bösen konzentriert.
Ihm ging es um die Wölfe!
Nein, nicht um diejenigen, die in den tiefen Wäldern lauerten und bei Hunger die Siedlungen der Menschen überfielen. Die gab es zwar auch, aber die waren nicht so schlimm wie jene Wölfe, die den Keim des Bösen in sich trugen, keine normalen Wölfe mehr waren, sondern mehr Vampiren ähnelten.
Wölfe und Vampire!
Wo bestand der Unterschied?
Es gab natürlich einen offensichtlichen, das war schon dem Aussehen zu entnehmen, aber der Pope wußte auch, daß es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden gab, denn Wölfe waren auf der einen Seite etwas Urböses und Vampire auf der anderen auch.
Wer sich aus wem entwickelt hatte, wußte der Pope nicht zu sagen, rein gefühlsmäßig glaubte er jedoch daran, daß es die Wölfe schon länger gab.
Vor den Menschen noch.
Und aus ihnen oder einem Stamm von ihnen konnten sich die Vampire entwickelt haben.
Diese Theorie hatte sich der Mann schon als junger Mensch zurechtgelegt, und daran glaubte er auch im Alter. Aus der Theorie war im Laufe seines Lebens eine gewisse Praxis geworden, die er weitervermitteln wollte, und deshalb hatte er in seiner freien Zeit auch ein Buch geschrieben, in dem sein Wissen enthalten war.
Irgendwann würde es der richtige Mensch erhalten, um daraus seine Schlüsse ziehen zu können.
Zwar hatte er es abgeschlossen, das letzte Kapitel stand auch theoretisch, nur mußte er diese Theorie noch in die Praxis umsetzen, und er wußte auch, daß es in dieser Nacht soweit war.
Allein konnte er es in seinem Alter nicht mehr schaffen, deshalb hatte er seine Helfer - junge Männer - eine halbe Stunde vor Mitternacht zu sich bestellt.
Noch kniete er in seiner Kirche vor dem prächtigen Altar, bei dem besonders das große vergoldete Holzkreuz ins Auge stach, das aus alter Zeit stammte. Jemand hatte es aus Rußland mitgebracht und es hier in der Kneipe gelassen.
Der Pope liebte dieses orthodoxe Kreuz. Es gab ihm die Kraft, das Vertrauen, das er brauchte, und er hoffte, daß ihn seine Stärke auch diesmal nicht im Stich lassen würde.
Die Betbank gehörte ihm. Darauf hätte er sich auch setzen können, aber er war es gewohnt, vor einem Kreuz zu knien.
Über sein Gesicht rannen plötzlich Tränen. Wie von selbst hatten sie sich aus seinen Augen gelöst.
Es war eine Trauer, für die es keinen Grund gab, vielleicht weinte er deshalb, weil er an die Zukunft dachte, die für ihn schon vorbei war. Es gab keine Zukunft mehr. Er wußte es. Oder zumindest keine Zukunft, wie er sie
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