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Amerika

Amerika

Titel: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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erwarte ich ein ganz anderes Benehmen, sonst könntest du mit mir schlechte Erfahrungen machen.«
    Da rief aus dem Zimmer eine fragende Stimme in sanftem,
    müdem Tonfall: »Delamarche?«
    »Ja«, antwortete Delamarche und sah freundlich die Tür an,
    »können wir eintreten?«
    »O ja«, hieß es, und Delamarche öffnete, nachdem er noch
    die zwei hinter ihm Wartenden mit einem Blick gestreift hatte, langsam die Tür.

Man trat in vollständiges Dunkel ein. Der Vorhang der
    Balkontüre, ein Fenster war nicht vorhanden, war bis zum Boden hinabgelassen und wenig durchscheinend, außerdem aber trug die Überfül ung des Zimmers mit Möbeln und herumhängenden Kleidern viel zu seiner Verdunkelung bei. Die Luft war dumpf, und man roch geradezu den Staub, der sich hier in Winkeln, die offenbar für jede Hand unzugänglich waren, angesammelt hatte.
    Das erste, was Karl beim Eintritt bemerkte, waren drei Kasten, die knapp hintereinander aufgestellt waren.
    Auf dem Kanapee lag die Frau, die früher vom Balkon
    hinuntergeschaut hatte. Ihr rotes Kleid hatte sich unten ein wenig verzogen und hing in einem großen Zipfel bis auf den Boden, man sah ihre Beine fast bis zu den Knien, sie trug dicke weiße Wollstrümpfe; Schuhe hatte sie keine.
    »Das ist eine Hitze, Delamarche«, sagte sie, wandte das
    Gesicht von der Wand, hielt ihre Hand lässig in Schwebe gegen Delamarche hin, der sie ergriff und küßte. Karl sah nur ihr Doppelkinn an, das bei der Wendung des Kopfes auch mitrollte.
    »Soll ich den Vorhang vielleicht hinaufziehen lassen?« fragte Delamarche.
    »Nur das nicht«, sagte sie mit geschlossenen Augen und wie verzweifelt, »dann wird es ja noch ärger.«
    Karl war zum Fußende des Kanapees getreten, um die Frau
    genauer anzusehen, er wunderte sich über ihre Klagen, denn die Hitze war gar nicht außerordentlich.
    »Warte, ich werde es dir ein wenig bequem machen«, sagte
    Delamarche ängstlich, öffnete oben am Halse ein paar Knöpfe und zog dort das Kleid auseinander, so daß der Hals und der Ansatz der Brust frei wurde und ein zarter, gelblicher
    Spitzensaum des Hemdes erschien.
    »Wer ist das«, sagte die Frau plötzlich und zeigte mit dem Finger auf Karl »warum starrt er mich so an?«
    »Du fängst bald an, dich nützlich zu machen«, sagte
    Delamarche und schob Karl beiseite, während er die Frau mit den Worten beruhigte: »Es ist nur der Junge, den ich zu deiner Bedienung mitgebracht habe.«
    »Aber ich will doch niemanden haben!« rief sie.
    »Warum bringst du mir fremde Leute in die Wohnung?«
    »Aber die ganze Zeit wünschst du dir doch eine Bedienung«, sagte Delamarche und kniete nieder; auf dem Kanapee war trotz seiner großen Breite neben Brunelda nicht der geringste Platz.
    »Ach, Delamarche«, sagte sie, »du verstehst mich nicht und verstehst mich nicht.«
    »Dann verstehe ich dich also wirklich nicht«, sagte
    Delamarche und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände.
    »Aber es ist ja nichts geschehen, wenn du willst, geht er augenblicklich fort.«
    »Wenn er schon einmal hier ist, soll er bleiben«, sagte sie nun wieder, und Karl war ihr in seiner Müdigkeit für diese vielleicht gar nicht freundlich gemeinten Worte so dankbar, daß er, immer in undeutlichen Gedanken an diese endlose Treppe, die er nun vielleicht gleich wieder hätte abwärtssteigen müssen, über den auf seiner Decke friedlich schlafenden Robinson hinwegtrat und trotz allem ärgerlichen Händefuchteln Delamarches sagte: »Ich danke Ihnen jedenfalls dafür, daß Sie mich noch ein wenig hier lassen wollen. Ich habe wohl schon vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, dabei genug gearbeitet und verschiedene Aufregungen gehabt. Ich bin schrecklich müde. Ich weiß gar nicht recht, wo ich bin. Wenn ich aber ein paar Stunden
    geschlafen habe, können Sie mich ohne Rücksichtnahme
    fortschicken, und ich werde gerne gehen.«
    »Du kannst überhaupt hierbleiben«, sagte die Frau und fügte ironisch hinzu, »Platz haben wir ja in Überfluß, wie du siehst.«
    »Du mußt also fortgehen«, sagte Delamarche, »wir können
    dich nicht brauchen.«
    »Nein, er soll bleiben«, sagte die Frau nun wieder im Ernste.
    Und Delamarche sagte zu Karl wie in Ausführung dieses
    Wunsches: »Also leg dich schon irgendwo hin.«
    »Er kann sich auf die Vorhänge legen, aber er muß sich die Stiefel ausziehen, damit er nichts zerreißt.«
    Delamarche zeigte Karl den Platz, den sie meinte. Zwischen der Türe und den drei Schränken war ein großer Haufen von

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