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Amerika

Amerika

Titel: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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verschiedenartigsten Fenstervorhängen hingeworfen. Wenn man alle regelmäßig zusammengefaltet, die schweren zu unterst und weiter hinauf die leichteren gelegt und schließlich die
    verschiedenen in den Haufen gesteckten Bretter und Holzringe herausgezogen hätte, so wäre es ein erträgliches Lager
    geworden, so war es nur eine schaukelnde und gleitende Masse, auf die sich aber Karl trotzdem augenblicklich legte, denn zu besonderen Schlafvorbereitungen war er zu müde und mußte
    sich auch mit Rücksicht auf seine Gastgeber hüten, viel
    Umstände zu machen.
    Er war schon fast im eigentlichen Schlaf, da hörte er einen lauten Schrei, erhob sich und sah die Brunelda aufrecht auf dem Kanapee sitzen, die Arme weit ausbreiten und Delamarche, der vor ihr kniete, umschlingen. Karl, dem der Anblick peinlich war, lehnte sich wieder zurück und versenkte sich in die Vorhänge zur Fortsetzung des Schlafes. Daß er es hier auch nicht zwei Tage aushalten würde, schien ihm klar zu sein, desto nötiger aber war es, sich zuerst gründlich auszuschlafen, um sich dann bei völligem Verstande schnell und richtig entschließen zu können.
    Aber Brunelda hatte schon Karls vor Müdigkeit groß
    aufgerissene Augen, die sie schon einmal erschreckt hatten, bemerkt und rief: »Delamarche, ich halte es vor Hitze nicht aus, ich brenne, ich muß mich ausziehen, ich muß baden, schick die beiden aus dem Zimmer, wohin du willst, auf den Gang, auf den Balkon, nur daß ich sie nicht mehr sehe! Man ist in seiner eigenen Wohnung, und immerfort gestört. Wenn ich mit dir
    allein wäre, Delamarche! Ach Gott, sie sind noch immer da! Wie dieser unverschämte Robinson sich in Gegenwart einer Dame in seiner Unterkleidung streckt. Und wie dieser fremde Junge, der mich vor einem Augenblick ganz wild angeschaut hat, sich
    wieder gelegt hat, um mich zu täuschen! Nur weg mit ihnen, Delamarche, sie sind mir eine Last, sie liegen mir auf der Brust, wenn ich jetzt umkomme, ist es ihretwegen.«
    »Sofort sind sie draußen, zieh dich nur aus«, sagte
    Delamarche, ging zu Robinson hin und schüttelte ihn mit dem Fuß, den er ihm auf die Brust setzte. Gleichzeitig rief er Karl zu:
    »Roßmann, aufstehen! Ihr müßt beide auf den Balkon! Und
    wehe euch, wenn ihr hereinkommt, ehe man euch ruft! Und jetzt flink, Robinson« – dabei schüttelte er Robinson stärker – »und du, Roßmann, gib acht, daß ich nicht auch über dich komme«, dabei klatschte er laut zweimal in die Hände.
    »Wie lang das dauert!« rief Brunelda auf dem Kanapee, sie hatte beim Sitzen die Beine weit auseinandergestellt, um ihrem übermäßig dicken Körper mehr Raum zu verschaffen, nur mit größter Anstrengung, unter vielem Schnappen und häufigem
    Ausruhen, konnte sie sich so weit bücken, um ihre Strümpfe am obersten Ende zu fassen und ein wenig hinunterzuziehen,
    gänzlich ausziehen konnte sie sich nicht, das mußte Delamarche besorgen, auf den sie nun ungeduldig wartete.
    Ganz stumpf vor Müdigkeit war Karl von dem Haufen
    hinuntergekrochen und ging langsam zur Balkontüre, ein Stück Vorhangstoff hatte sich ihm um den Fuß gewickelt, und er
    schleppte es gleichgültig mit. In seiner Zerstreutheit sagte er sogar, als er an Brunelda vorüberkam: »Ich wünsche gute
    Nacht« und wanderte dann an Delamarche vorbei, der den
    Vorhang der Balkontüre ein wenig beiseite zog, auf den Balkon hinaus. Gleich hinter Karl kam Robinson, wohl nicht minder schläfrig, denn er summte vor sich hin: »Immerfort malträtiert man einen! Wenn Brunelda nicht mitkommt, gehe ich nicht auf den Balkon.« Aber trotz dieser Versicherung ging er ohne jeden Widerstand hinaus, wo er sich, da Karl schon in den Lehnstuhl gesunken war, sofort auf den Steinboden legte.
    Als Karl erwachte, war es schon Abend, die Sterne standen schon am Himmel, hinter den hohen Häusern der
    gegenüberliegenden Straßenseite stieg der Schein des Mondes empor. Erst nach einigem Umherschauen in der unbekannten
    Gegend, einigem Aufatmen in der kühlen, erfrischenden Luft wurde sich Karl dessen bewußt, wo er war. Wie unvorsichtig war er gewesen, alle Ratschläge der Oberköchin, alle Warnungen Theresens, alle eigenen Befürchtungen hatte er vernachlässigt, saß hier ruhig auf dem Balkon Delamarches und hatte hier gar den halben Tag verschlafen, als sei nicht hier hinter dem Vorhang Delamarche, sein großer Feind. Auf dem Boden wand sich der faule Robinson und zog Karl am Fuße, er schien ihn auch auf diese Weise geweckt zu haben, denn er

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