Amerika
dunkle Mauer eines im Schatten liegenden Hauses gedrückt, bereit, im
richtigen Augenblick auf Karl loszuspringen. Jetzt blieb keine Hilfe als die Quergasse, und als er gar aus dieser Gasse ganz harmlos beim Namen gerufen wurde – es schien ihm zwar zuerst eine Täuschung zu sein, denn ein Sausen hatte er schon die ganze Zeit lang in den Ohren –, zögerte er nicht mehr länger und bog, um die Polizeileute möglichst zu überraschen, auf einem Fuß sich schwenkend, rechtwinklig in diese Gasse ein.
Kaum war er zwei Sprünge weit gekommen – daß man seinen
Namen gerufen hatte, hatte er schon wieder vergessen, nun pfiff auch der zweite Polizeimann, man merkte seine unverbrauchte Kraft, ferne Passanten in dieser Querstraße schienen eine raschere Gangart anzunehmen –, da griff aus einer kleinen Haustüre eine Hand nach Karl und zog ihn mit den Worten »Still sein!« in einen dunklen Flur. Es war Delamarche, ganz außer Atem, mit erhitzten Wangen, seine Haare klebten ihm rings um den Kopf. Den Schlafrock trug er unter dem Arm und war nur mit Hemd und Unterhose bekleidet. Die Türe, welche nicht das eigentliche Haustor war, sondern nur einen unscheinbaren
Nebeneingang bildete, hatte er gleich geschlossen und versperrt.
»Einen Augenblick«, sagte er dann, lehnte sich mit
hochgehaltenem Kopf an die Wand und atmete schwer. Karl lag fast in seinen Armen und drückte halb besinnungslos das Gesicht an seine Brust.
»Da laufen die Herren«, sagte Delamarche und streckte den Finger aufhorchend gegen die Tür. Wirklich liefen jetzt die zwei Polizeileute vorbei, ihr Laufen klang in der leeren Gasse, wie wenn Stahl gegen Stein geschlagen wird.
»Du bist aber ordentlich hergenommen«, sagte Delamarche
zu Karl, der noch immer an seinem Atem würgte und kein Wort herausbringen konnte. Delamarche setzte ihn vorsichtig auf den Boden, kniete neben ihm nieder, strich ihm mehrmals über die Stirn und beobachtete ihn.
»Jetzt geht es schon«, sagte Karl und stand mühsam auf.
»Dann also los«, sagte Delamarche, der seinen Schlafrock
wieder angezogen hatte, und schob Karl, der noch vor Schwäche den Kopf gesenkt hielt, vor sich her. Von Zeit zu Zeit schüttelte er Karl, um ihn frischer zu machen.
»Du willst müde sein?« sagte er. »Du konntest doch im Freien laufen wie ein Pferd, ich aber mußte hier durch die verfluchten Gänge und Höfe schleichen. Glücklicherweise bin ich aber auch ein Läufer.« Vor Stolz gab er Karl einen weit ausgeholten Schlag auf den Rücken.
»Von Zeit zu Zeit ist ein solches Wettrennen mit der Polizei eine gute Übung.«
»Ich war schon müde, wie ich zu laufen anfing«, sagte Karl.
»Für schlechtes Laufen gibt es keine Entschuldigung«, sagte Delamarche.
»Wenn ich nicht wäre, hätten sie dich schon längst gefaßt.«
»Ich glaube auch«, sagte Karl.
»Ich bin Ihnen sehr verpflichtet.«
»Kein Zweifel«, sagte Delamarche.
Sie gingen durch einen langen, schmalen Flurgang, der mit dunklen, glatten Steinen gepflastert war. Hie und da öffnete sich rechts oder links ein Treppenaufgang oder man erhielt einen Durchblick in einen anderen größeren Flur. Erwachsene waren kaum zu sehen, nur Kinder spielten auf den leeren Treppen. An einem Geländer stand ein kleines Mädchen und weinte, daß ihr vor Tränen das ganze Gesicht glänzte. Kaum hatte sie
Delamarche bemerkt, als sie, mit offenem Munde nach Luft
schnappend, die Treppe hinauflief und sich erst hoch oben beruhigte, als sie nach häufigem Umdrehen sich überzeugt
hatte, daß ihr niemand folge oder folgen wolle.
»Die habe ich vor einem Augenblick niedergerannt«, sagte
Delamarche lachend und drohte ihr mit der Faust, worauf sie schreiend weiter hinauflief.
Auch die Höfe, durch die sie kamen, waren fast gänzlich
verlassen. Nur hie und da schob ein Geschäftsdiener einen zweirädrigen Karren vor sich her, eine Frau füllte an der Pumpe eine Kanne mit Wasser, ein Briefträger durchquerte mit ruhigen Schritten den ganzen Hof, ein alter Mann mit weißem
Schnauzbart saß mit übergeschlagenen Beinen vor einer Glastür und rauchte eine Pfeife, vor einem Speditionsgeschäft wurden Kisten abgeladen, die unbeschäftigten Pferde drehten
gleichmütig die Köpfe, ein Mann in einem Arbeitsmantel
überwachte mit einem Papier in der Hand die ganze Arbeit; in einem Büro war das Fenster geöffnet, und ein Angestellter, der an seinem Schreibpult saß, hatte sich von ihm abgewendet und sah nachdenklich hinaus, wo gerade Karl und
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