Amerika
er sich und sagte: »Störe ich Sie denn nicht?« »Erstens«, sagte der Student, »haben Sie mich schon gestört, und ich bin leider so nervös, daß ich lange Zeit brauche, um mich wieder zurechtzufinden. Seit Sie da Ihre Spaziergänge auf dem Balkon angefangen haben, komme ich mit dem Studieren nicht vorwärts. Zweitens aber mache ich um drei Uhr immer eine Pause. Erzählen Sie also nur ruhig. Es interessiert mich auch.«
»Es ist ganz einfach«, sagte Karl. »Delamarche will, daß ich bei ihm Diener werde. Aber ich will nicht. Ich wäre am liebsten noch gleich abends weggegangen. Er wollte mich nicht lassen, hat die Tür abgesperrt, ich wollte sie aufbrechen, und dann kam es zu der Rauferei. Ich bin unglücklich, daß ich noch hier bin.«
»Haben Sie denn eine andere Stellung?« fragte der Student.
»Nein«, sagte Karl, »aber daran liegt mir nichts, wenn ich nur von hier fort wäre.«
»Hören Sie einmal«, sagte der Student, »daran liegt Ihnen nichts?« Und beide schwiegen ein Weilchen. »Warum wollen Sie denn bei den Leuten nicht bleiben?« fragte dann der Student.
»Delamarche ist ein schlechter Mensch«, sagte Karl, »ich kenne ihn schon von früher her. Ich marschierte einmal einen Tag lang mit ihm und war froh, als ich nicht mehr bei ihm war. Und jetzt soll ich Diener bei ihm werden?«
»Wenn alle Diener bei der Auswahl ihrer Herrschaften so heikel sein wollten wie Sie!« sagte der Student und schien zu lächeln. »Sehen Sie, ich bin während des Tages Verkäufer, niedrigster Verkäufer, eher schon Laufbursche im Warenhaus von Montly. Dieser Montly ist zweifellos ein Schurke, aber das läßt mich ganz ruhig, wütend bin ich nur, daß ich so elend bezahlt werde. Nehmen Sie sich also an mir ein Beispiel.«
»Wie?« sagte Karl, »Sie sind bei Tag Verkäufer und in der Nacht studieren Sie?«
»Ja«, sagte der Student, »es geht nicht anders. Ich habe schon alles mögliche versucht, aber diese Lebensweise ist noch die beste. Vor Jahren war ich nur Student, bei Tag und Nacht, wissen Sie, nur bin ich dabei fast verhungert, habe in einer schmutzigen alten Höhle geschlafen und wagte mich in meinem damaligen Anzug nicht in die Hörsäle. Aber das ist vorüber.«
»Aber wann schlafen Sie?« fragte Karl und sah den Studenten verwundert an.
»Ja, schlafen!« sagte der Student. »Schlafen werde ich, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Vorläufig trinke ich schwarzen Kaffee.« Und er wandte sich um, zog unter seinem Studiertisch eine große Flasche hervor, goß aus ihr schwarzen Kaffee in ein Täßchen und schüttete ihn in sich hinein, so wie man Medizinen eilig schluckt, um möglichst wenig von ihrem Geschmack zu spüren.
»Eine feine Sache, der schwarze Kaffee«, sagte der Student. »Schade, daß Sie so weit sind, daß ich Ihnen nicht ein wenig hinüberreichen kann.«
»Mir schmeckt schwarzer Kaffee nicht«, sagte Karl.
»Mir auch nicht«, sagte der Student und lachte. »Aber was wollte ich ohne ihn anfangen. Ohne den schwarzen Kaffee würde mich Montly keinen Augenblick behalten. Ich sage immer Montly, obwohl der natürlich keine Ahnung hat, daß ich auf der Welt bin. Ganz genau weiß ich nicht, wie ich mich im Geschäft benehmen würde, wenn ich nicht dort im Pult eine gleich große Flasche wie diese immer vorbereitet hätte, denn ich habe noch nie gewagt, mit dem Kaffeetrinken auszusetzen, aber, glauben Sie mir nur, ich würde bald hinter dem Pulte liegen und schlafen. Leider ahnt man das, sie nennen mich dort den ›Schwarzen Kaffee‹, was ein blödsinniger Witz ist und mir gewiß in meinem Vorwärtskommen schon geschadet hat.«
»Und wann werden Sie mit Ihrem Studium fertig werden?« fragte Karl.
»Es geht langsam«, sagte der Student mit gesenktem Kopf. Er verließ das Geländer und setzte sich wieder an den Tisch; die Ellbogen auf das offene Buch aufgestützt, mit den Händen durch seine Haare fahrend, sagte er dann: »Es kann noch ein bis zwei Jahre dauern.«
»Ich wollte auch studieren«, sagte Karl, als gebe ihm dieser Umstand ein Anrecht auf ein noch größeres Vertrauen, als es der jetzt verstummende Student ihm gegenüber schon bewiesen hatte.
»So«, sagte der Student, und es war nicht ganz klar, ob er in seinem Buche schon wieder las oder nur zerstreut hineinstarrte, »seien Sie froh, daß Sie das Studium aufgegeben haben. Ich selbst studiere schon seit Jahren eigentlich nur aus Konsequenz. Befriedigung habe ich wenig davon und Zukunftsaussichten noch weniger. Welche Aussichten
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