GK0141 - Irrfahrt ins Jenseits
Mike O’Shea stützte seine schwieligen Hände auf das schmale Fensterbrett. Mit leerem Blick starrte er durch die Scheibe nach draußen, wo zwischen den Häusern die Dunkelheit lastete.
O’Shea seufzte schwer. Der Atem traf auf die Scheibe, und sie beschlug.
In dem kleinen Zimmer war es bullig warm. Die Platte des alten Kanonenofens glühte, und trotzdem jagte Mike O’Shea ein kaltes Frösteln den Rücken hinab.
Von der nahen Kirchturmuhr schlug es zwölfmal.
Mitternacht, Geisterstunde…
Hinter O’Shea wurde ein Stuhl gerückt. Mary O’Shea, die bisher ruhig am Tisch gesessen hatte, stand auf. Sie ging zu ihrem Mann, blieb hinter ihm stehen und legte ihm beide Hände auf die Schultern.
»Warum quälst du dich so, Mike?« fragte sie mit leiser Stimme. »Komm, laß uns ins Bett gehen, du kannst nichts dagegen machen. Sie werden uns schon nicht holen.«
»O nein!« Starrsinnig schüttelte Mike O’Shea den Kopf. »So leicht werde ich es ihnen nicht machen. Ich will dir mal was sagen, Mary. Ich bin Ire und dazu noch ein verdammter Dickschädel. Ich lasse mich von keinem terrorisieren. Auch nicht vom Teufel.«
»Aber der Satan ist stärker.«
O’Shea lachte bitter auf. »Das werden wir mal sehen.« Ruckartig wandte er sich um. Mary O’Shea sah in das kantige, wettergegerbte Gesicht ihres Mannes mit den tief eingegrabenen Sorgenfalten und den blauen, hellwachen Augen, in denen die Kampfeslust schimmerte. Mikes Haar war brandrot und kaum zu zähmen. O’Shea war überdurchschnittlich groß, und unter seinem karierten Hemd spannten sich die Muskeln. Er war ein Kämpfer und hatte noch nie in seinem Leben aufgegeben.
Mike O’Shea wandte, sich um und nahm seine Frau in die Arme. »Mary«, sagte er leise, »wir können uns nicht mehr ducken. Hier in diesem Ort geschehen Dinge, wie sie im Mittelalter passiert sind. Und die Menschen nehmen alles hin. Sollen wir warten, bis sie das Dorf ausgerottet haben? Fünf Einwohner sind schon verschwunden. Und immer, wenn diese teuflische Kutsche kam. Ich werde mich dagegen auflehnen, und ich tue es nicht nur für mich, sondern auch für die anderen.«
Mary O’Shea nickte. »Ich weiß es ja, Mike. Aber wenn dir etwas passiert?«
»Dann weißt du, was du zu tun hast. Ich habe dir alles aufgeschrieben und den Brief versiegelt. Du brauchst ihn nur noch abzuschicken.« Mike O’Shea lächelte plötzlich. »Aber soweit wird es wohl kaum kommen, schätze ich.«
Mary hob den Kopf und blickte ihren Mann an. Tränen schimmerten in ihren Augen. Die Finger der Frau strichen über Mikes Wangen. Mary O’Shea spürte, daß es ein Abschied werden würde.
Ein Abschied für immer…
Mary war eine zarte Frau. Sie reichte ihrem Mann kaum bis zu den Schultern. Das Leben hatte seine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Trotz ihrer fünfunddreißig Jahre wirkte Mary O’Shea wie eine Fünfzigjährige. Sie hatte es nie leicht gehabt, und doch war für sie die Zeit mit Mike eine Erfüllung gewesen.
O’Shea räusperte sich. Dann sagte er: »Ich sehe noch mal nach den Kindern.«
Mary nickte stumm.
O’Shea strich seiner Frau über das schon graue Haar und verließ das Zimmer. Eine schmale Holztreppe führte in die obere Etage des Hauses. Hier lagen die Schlafräume. In einem schliefen Pat und Edna, die beiden Kinder.
Leise öffnete Mike die Tür.
Er hörte das regelmäßige Atmen der beiden und trat an das große Doppelbett.
Pat war sieben und ein richtiger Lausejunge. Er hatte das Naturell seines Vaters geerbt, während Edna mehr ihrer Mutter ähnelte.
Mike O’Shea strich den Kindern über das Haar und murmelte ein Gebet. Pat und Edna rührten sich nicht. Auf ihren Gesichtern lag ein glückliches Lächeln.
Minutenlang stand Mike vor dem Bett. Dann wandte er sich ab und verließ mit leisen Schritten den Raum. Behutsam schloß er die Tür hinter sich.
Mary wartete unten an der Treppe. Fragend blickte sie ihren Mann an.
Mike O’Shea nickte. »Sie schlafen«, sagte er.
Mary unternahm einen letzten Versuch. »Willst du es dir nicht noch einmal überlegen, Mike? Warte doch ab, und sprich erst mit der Polizei. Warum soll ich den Brief abschicken, wenn du keinen Erfolg hast? Warte doch, bis jemand kommt.«
»Nein, Mary!« Mike schüttelte stur den Kopf. »Wir haben lange darüber geredet, und du weißt, daß ich nicht anders handeln kann. Ich werde mit diesem Spuk aufräumen. Gib mir mein Gewehr!«
»Ja, Mike.« Die Frau hatte resigniert.
Mary O’Shea schloß einen klobigen
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