Amerikanische Reise
kein Verständnis
für diese Entscheidung hat. Er nimmt noch eine Zigarette und läßt den Buick ein Stück vorrollen. »Anfangs habe ich ja gedacht,
sie würde sich hier etwas als Mathematikerin suchen.« Er läßt das Feuerzeug schnappen und zieht. Statt dessen habe sie Rick
kennengelernt, diesen Fotografen aus der Nachbarwohnung, in der es stets nach Essig stinkt, weil er das Badezimmer als Dunkelkammer
benutzt. Rick, sagt Walter, sitze völlig unorganisiert auf Bergen von Negativen, für die sich niemand interessiere, außer
Rick selbst. Und Kristin irgendwann. Für Werbefotografie sei sich Rick zu schade, sehr unamerikanisch übrigens, behauptet
Walter, Geldverdienst mit einem Anspruch zu verknüpfen. Und dann trifft er ausgerechnet Kristin, die ihm von Kafka erzählt,
der seine Sachen habe verbrennen wollen, oder Mozart, den sie in einem Armengrab verscharrt haben. Kunstmärtyrer.
Irgendwann hat sie ihm die Sache mit der Galerie erklärt. Daß sie mit Rick und ein paar Freunden beschlossen habe, eine Galerie
im
East-village
aufzumachen. Als Mathematikerin! hat Walter gedacht. Für ihn war klar, daß Kristin dabei war, in einen falschen Zug einzusteigen.
Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, daß Rick, der Kunstmoralist, einen sich finanziell tragenden, geschweige denn profitablen
Laden zustande bringen würde. Walter hat nie verstanden, wo das Geld für die Galerie eigentlich hergekommen ist.
Nach ein paar Monaten, erzählt Walter, gab es die erste Vernissage, übrigens nicht mit Ricks Bildern, der wahrscheinlich |27| an seiner Desorganisation und an seinem päpstlichen Absolutheitsanspruch gescheitert sei. Außerdem war er nicht der einzige
Künstler unter den Galeriegründern. Eigentlich waren sie alle Künstler. Bis auf Kristin.
Walter konnte mit den ausgestellten Objekten nicht viel anfangen. In einer Ecke lag ein Haufen Sand mit ausgedrückten Zahnpastatuben.
Er stand davor und dachte sofort: Wer kauft einen Haufen Sand mit Zahnpastatuben? Zumal Champagner ausgeschenkt wurde, und
Champagner kostet Geld. Und dann stand der Sandkünstler neben ihm:
What do you feel?
Walter fühlte sich beschissen: Die einen arbeiten und sorgen dafür, daß es voran geht, und die anderen häufen Sand in eine
Ecke. Er habe Lust, seinen Champagner in den Sand zu kippen, sagte er.
That’s it,
sagte der andere und kippte seinen Champagner in den Sand.
Ein Bild von Rick gab es übrigens doch. Eine Aufnahme von Kristin irgendwo in einem heruntergekommenen Teil der Stadt. So
was Melancholisches. Walter beschwerte sich hinterher bei Kristin, weil sie ihm nicht erzählt hatte, daß sie sich von Rick
habe fotografieren lassen. Sie behauptete, er interessiere sich schließlich nicht dafür, was sie mache. Er versuchte noch
einmal, sie davon zu überzeugen, als Mathematikerin zu arbeiten: Als Mathematikerin sei sie die beste gewesen, aber sie erklärte
nur, man müsse nicht unbedingt machen, was man am besten könne. Seitdem haben sie über das Thema nicht mehr geredet. Walter
war überzeugt, daß seine Frau in einer Falle saß, in die andere mit zwanzig tappten. Künstlerdasein. Champagner in Sand kippen.
Hin und wieder rattert eine silberne U-Bahn in der Mitte der Brücke vorbei wie ein Achterbahnwagen ohne bunte Lackierung und blinkende Lämpchen. Über die Fahrbahn |28| sind Netze gespannt, wie zum Schutz, als bröckele die Trägerkonstruktion.
Jan drückt auf ein Knöpfchen am Ende der Armlehne, die Scheibe fährt gleichmäßig wie bei einem Geldautomaten hinunter und
gibt die Stadt zur Benutzung frei. Feuchte Luft strudelt in den Wagen.
Für Jan war Mathematik die Lehre einer etwas abseitigen Sekte. Er hatte Kristin einmal während eines Kongresses besucht und
sich ihr zehnminütiges Referat über nicht ganzzahlige Dimensionen angehört. Ihn beschlich der Verdacht, daß viele ihrer Kollegen
zwar Mathematik studierten, aber Theologie meinten. Außerdem kam es ihm vor, daß die meisten Zuhörer sich nicht auf Kristins
Formeln, sondern auf Kristin als Frau konzentrierten. Als er ihr das sagte, behauptete sie, dies sei eine typische Journalistenwahrnehmung,
in der aus ein paar starrenden Männeraugen gleich ein starrender Hörsaal wird. Wie
er
sie denn betrachtet habe? Als Mathematikerin oder als Frau?
Trotzdem blieb sie nicht lange in der mathematischen Forschung, was Jan darauf zurückführte, daß sie eben doch keine Lust
hatte, ein exotisches Wesen in einem
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