FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
1.
Die Märzsonne stand hoch am Himmel, als die Tochter des Lohgerbers Hans Münkoff die Wäsche ihres Vaters am Elbufer wusch. Seit ihre Mutter vor sechs Jahren an der Pest gestorben war, fiel Rosa diese Aufgabe zu. Eigentlich hätte sie schon längst unter der Haube sein müssen, doch welcher junge Mann wollte schon ein Mädchen heiraten, dessen Vater mit der Verarbeitung von faulenden Häuten und stinkenden Brühen sein Brot verdiente, auch wenn das Mädchen noch so hübsch war?
Und hübsch war sie zweifellos! Keiner der jungen Burschen hatte das jemals bezweifelt: hellblondes Haar, das weit über ihre Schultern fiel; hohe Wangenknochen; blitzende, himmelblaue Augen und ein Mund, der stets zu lächeln schien. Wenn sie leichtfüßig die Gassen hinunterschritt, warfen ihr sogar verheiratete Männer verstohlene Blicke nach.
Auch wenn ihr Vater einem unreinen Handwerk nachging, schämte sich Rosa nicht ihrer Herkunft. Aber sie hasste es, wenn die Mägde der »Pfeffersäcke«, wie die hochnäsigen, reichen Kaufleute abfällig genannt wurden, ihr bedeutungsvolle Blicke beim Waschen zuwarfen oder sich das Maul darüber zerrissen, dass die Münkoff'sche einfach keinen Verehrer fand. Deshalb hatte sie zum Waschen die Mittagszeit gewählt, wenn die Mägde zu Tisch saßen und Gerstenmehlsuppe oder Hafergrütze löffelten.
Ja, Verehrer hatte sie zur Genüge – Männer, die sich heimlich mit ihr treffen wollten. Doch auf solche Liebschaften konnte sie getrost verzichten. Diese Burschen wollten nur ihren Spaß und anschließend vor der Stadtjugend mit ihrer Eroberung prahlen. Sollte Rosa ihrem Drängen nachgeben und dabei schwanger werden, müsste sie die Schandmaske am Pranger tragen, während kein Hahn nach dem Vater des Kindes krähen würde.
Rosa schüttelte ihren Kopf, während sie die nasse Wäsche mit Kernseife abrieb, um sie anschließend im kalten Flusswasser auszuspülen. Natürlich träumte auch sie von der großen Liebe. Doch sie wollte keinen Buhlen, sondern einen Mann fürs Leben. Einen Mann, auf den sie sich verlassen konnte und der sie von ganzem Herzen liebte, so wie sie war.
So mancher junge Mann, der ihr in den engen und verwinkelten Gassen Magdeburgs begegnet war, konnte ihr schon gefallen. Der junge Advokat Benno Greve hatte es ihr besonders angetan. Seit er ihr vor gut einem Monat am Alten Markt zum ersten Mal über den Weg gelaufen war, ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu ihm, obwohl sie so gut wie nichts über ihn wusste.
Rosa schaute verträumt über die Elbe zur Marieninsel hinüber, während sie die gespülten Wäschestücke auswrang und in einen Weidenkorb legte. Ständig sah sie sein Bild vor sich: der junge Advokat – denn das war er, wie sie im Nachhinein herausgefunden hatte –, einen Kopf größer als sie, schlank, schulterlanges, braun gelocktes Haar und ein akkurat gestutzter Bart, hellbraune, freundliche Augen – ja, Benno Greve könnte ihr schon gefallen.
Doch ein Mann aus der Oberschicht würde niemals eine Gerberstochter heiraten wollen und damit seinen guten Ruf und seine beruflichen Chancen ruinieren. Keine Frage. Die Reichen und Studierten blieben sowieso immer unter sich, und wenn es ums Heiraten ging, musste stets Geld zu Geld kommen.
Die junge Frau seufzte und nahm die letzten Wäschestücke, um sie einzuweichen. Warum musste das Leben immer so kompliziert sein? Warum gab es so viele Barrieren zwischen den Menschen? Barrieren, die Mächtige und Wohlhabende in der Vergangenheit errichtet hatten, um ihre Vorrechte und ihr Eigentum zu sichern, und die niemand infrage stellte oder gar niederriss? Waren nicht alle Geschöpfe desselben Gottes, Menschen mit Stärken und Schwächen, mit Hoffnungen und Sehnsüchten, mit Freuden und Leiden? Sprach nicht der Tod über alle das gleiche Urteil?
Rosa blickte von ihrer Arbeit auf. Zwei achtjährige Jungen spielten einen Steinwurf entfernt am Ufer der Elbe. Kreischend sprangen sie mit nackten Füßen ins Wasser, wagten sich dabei immer weiter hinein und stürmten lachend ans Ufer zurück. Rosa lächelte. Sie kannte die beiden. Der eine war Michi, der Sohn des Schmieds, der andere Conrad, dessen Vater Stadtschreiber war. Sie kannten keine Standesdünkel. Noch nicht. Ob sie wohl Freunde bleiben würden, nachdem die Gesellschaft sie zurechtgeschliffen und in ihr Ständesystem eingepasst hatte? Rosa wagte es zu bezweifeln. Sie rieb die eingeweichten Wäschestücke mit Kernseife ab und spülte sie
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