Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
wie sollten wir die Wahrheit herausfinden?« rief der DA-Direktor eine rhetorische Frage. »Wir standen vor einer äußerst schwierigen Herausforderung. Hätte ich Stellvertretenden Sicherheitsdienstleiter Taverner meinen Argwohn spüren lassen – zum Beispiel durch Aberkennung seiner dienstlichen Berechtigungen und Vollmachten –, wäre zweifellos seinerseits alles Menschenmögliche getan worden, um sich vor Entlarvung zu schützen. Dann hätte ich die Informationen, die ich haben wollte, nie erhalten. Meine Hoffnung stützte sich daher auf den Vorwand, ich hätte ihn wegen seiner speziellen Kenntnisse Kapitän Thermopyles herbestellt. Das hätte ja ohne weiteres der Fall sein können. Bei meinen Vernehmungen Kapitän Thermopyles fand ich dann täglich genügend Gründe, um immer mehr an die Ehrlichkeit Stellvertretenden Sicherheitsdienstleiters Taverner zu glauben. Sie blieben nämlich so ergebnislos, wie man es sich nur vorstellen kann. Trotz der durch uns angewandten fortgeschrittenen Verhörmethoden, die sich selbstverständlich allesamt im Rahmen der gesetzlichen Beschränkungen bewegten« – Lebwohl traf diese Klarstellung mit pietätvoller Miene – »konnte ich keine Aussagen erlangen, die Stellvertretender Sicherheitsdienstleiter Taverner nicht schon vorher protokolliert hatte. Welchen Grund hätte ich folglich gehabt, um Stellvertretenden Sicherheitsdienstleiter Taverner wie einen Verdächtigen zu behandeln? Wir bei der VMKP halten das Prinzip heilig, jeden als Unschuldigen anzuerkennen, solang ihm keine Schuld nachgewiesen worden ist.« Allmählich trug Lebwohl etwas zu dick auf; aber Warden verzichtete aufs Einschreiten.
»Je länger ich Kapitän Thermopyle verhörte, um so nachhaltiger zerstreute sich mein gegen Stellvertretenden Sicherheitsdienstleiter Taverner gehegtes Mißtrauen. Meine Damen und Herren, ich habe seine dienstlichen Berechtigungen und Vollmachten nicht außer Kraft gesetzt, weil ich in bezug auf ihn keinerlei Belastungsmaterial hatte. Bis er Kapitän Thermopyle befreit und mit ihm zusammen das Weite gesucht hat, lag mir buchstäblich nichts vor, was meinen gegen Taverner gerichteten Verdacht erhärtet hätte.«
Jetzt ergriff wieder Warden das Wort. »Haben diese Ausführungen zu einer Klärung beigetragen?« fragte er mit einer Barschheit, die auf die Beschwerden in seinen Sehnerven zurückging. »Vielleicht ist es Ihnen nun möglich, präzisere Fragen zu stellen.«
»Herzlichen Dank, Direktor Lebwohl«, sagte Len. »Ihre Berichterstattung zeichnet sich durch bewunderungswürdige Klarheit aus. Sind Ihre Einlassungen so zu verstehen, daß Sie mit dem vorhin erwähnten ›Fehler‹ Ihre irrige Beurteilung Milos Taverners gemeint haben?«
»Ganz genau, Herr Vorsitzender«, bestätigte Hashi Lebwohl so gemütlich, als befände er sich im Frieden mit dem gesamten Universum.
»In diesem Fall«, antwortete Len auf annähernd gleiche Weise, »erlauben Sie mir bitte, mein mitfühlendes Bedauern auszusprechen. Jeder macht Fehler, aber nicht jeder darf sie sich leisten. Menschen wie wir, Direktor Lebwohl, die ein so hohes Maß an Verantwortlichkeit haben, müssen irgendwie ihre Fehlbarkeit überwinden. Sonst wirken ihre ›Fehler‹ sich zum Schaden der gesamten Menschheit aus. Meine Damen und Herren des Konzils, Polizeipräsident Dios, ich bin der Ansicht, wir sollten nun, ehe wir zu Weiterungen übergehen, die uns bis jetzt präsentierten Fakten diskutieren. Vize-Konzilsdeputierte Carsin, haben Sie noch Fragen an Direktor Lebwohl oder Polizeipräsident Dios?«
Von da an entwickelte sich geradezu ein Kreuzverhör. Tatsächlich hatte Carsin an Lebwohl Fragen; sie tat seine Schilderung als lachhaft ab. Und sie handelte schnell: kaum war sie von Abrim Len angesprochen worden, hatte sie eine lange Liste feindseliger Fragestellungen parat. Nach ihr kamen der Deputierte des Kosmo-Industriezentrums Valdor, der Vize-Deputierte der Allianz Asiatischer Inseln und Halbinseln, der Deputierte der Weltraumstation Hoher Auslug sowie weitere Konzilsparlamentarier an die Reihe; alle fühlten sie sich durch die Tragweite der Flucht Angus Thermopyles tief beunruhigt; und alle nahmen sie zur Abteilung DA und zu Hashi Lebwohl entweder aus Kritik an deren Verfahrensweisen oder aufgrund politischstrategischer Erwägungen eine ablehnende Haltung ein.
An einem Punkt unterbrach Lebwohl den schier endlosen Fragenkatalog, um vorzutäuschen, er erhielte von seiner ›nebenstehenden Assistentin‹ eine Mitteilung
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