Amnion 5: Heute sterben alle Götter
trotzdem nicht zu zittern aufhören. Noch lag die eigentliche Aufgabe vor ihr.
»Wäre der Krisensitzung die Möglichkeit eingeräumt worden, die Verlautbarungen des VMKP-HQ zur Kenntnis zu nehmen«, informierte sie die Versammlung, »wäre Ihnen allen schon bewußt, daß durch Direktorin Donner umgehend ein erster Schritt zu unserem Schutz veranlaßt wurde. Sie hat die Abschaltung der das ganze Sonnensystem umfassenden Scanning-Großanlagen befohlen. Damit ist der Stiller Horizont eine wertvolle Datenquelle entzogen worden.«
Erheblich übererregt fiel Sen Abdullah ihr ins Wort. »Sie hat uns für die Vorgänge blind gemacht?« wetterte er. »Welchen Vorteil soll denn das haben?«
Koina konnte auf keinerlei militärisches Wissen zurückgreifen; derlei Angelegenheiten standen außerhalb ihres Erfahrungsbereichs. »Nicht wir, sondern die Stiller Horizont ist blind geworden, wenigstens zum Teil«, berichtigte sie den Konzilsdelegierten dennoch mit allem Nachdruck. »Unsere Raumschiffe können unverändert alle Daten untereinander austauschen, die sie brauchen. Natürlich genügt das Scanning der Defensiveinheit vollkommen, um mit dem Superlicht-Protonengeschütz auf uns zu zielen. Das versteht sich von selbst. Aber sie kann nicht mehr alles beobachten, was in unserem Sonnensystem geschieht. Dadurch wird die Flexibilität unserer Streitkräfte erhöht. Es kann ihre Effektivität erhöhen.«
»Daran hätte ich nicht gedacht«, murmelte Sixten Vertigus. »Aber wahrscheinlich lohnt sich der Versuch. Mensch, alles ist einen Versuch wert.«
Danke, antwortete Koina stumm. Als sie ihn vor der Krisensitzung aus dem Shuttle angerufen hatte, war es geschehen, um von ihm hinsichtlich ihrer Entschlüsse Rat zu erhalten. Zunächst hatte er sich ihrem Anliegen verschlossen. Sie sind doch ein großes Mädchen, Koina. Danach jedoch hatte er ihr mehr Rückhalt gewährt, als sie sich je erhofft hätte.
Unter den Augen des Regierungskonzils und Cleatus Fanes durfte sie allerdings nicht zugeben, wie tief sie in der Schuld des alten Kapitäns stand. Statt dessen drehte sie sich zur Seite und heftete den Blick auf Maxim Igensard.
»Ich bin zur Beantwortung Ihrer Fragen bereit, Sonderbevollmächtigter.« So bereit, wie sie ohne konkrete Beweise sein konnte. In gewissem Maß war es ihr gelungen, Igensard den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nun blieb ihr nichts mehr übrig, als auf seine Fragen einzugehen, Fasners GOD zu trotzen und zu hoffen, daß man ihr noch rechtzeitig irgendwelche stichhaltigen Beweise übermittelte, die es ihr ermöglichten, Warden Dios’ in sie gesetzte Hoffnungen zu rechtfertigen. »Womit möchten Sie anfangen?«
Ihr Lächeln und kollegiales Auftreten erschwerte es ihm sehr, sie zur Gegenspielerin abzustempeln.
Aber kein weiblicher Charme war seiner speziellen Art der Feindseligkeit gewachsen. Offensichtlich festigte ihre Störung des Auftritts, die er für sich vor dem Regierungskonzil arrangiert hatte, lediglich ihre Rolle als Widersacherin. In seinem Blick schärfte und ballte sich die Konzentration noch stärker. Er schäumte nicht mehr vor sich hin. Im Gegensatz zu einer ganzen Anzahl anderer Anwesender neigte er unter Streß anscheinend nicht zum Schwitzen. In spontaner Einsicht erriet Koina, daß ein alles überwiegender Ehrgeiz jede persönliche Verstimmung zurückdrängte, die er empfinden mochte: der Wunsch, sie vor dem versammelten Regierungskonzil auszustechen, ihr gegen ihren Widerstand abzuringen, was er sich von ihr an Einlassungen und Geständnissen versprach. Er wollte an ihr etwas beweisen…
Koina hatte keine Ahnung, was er zu beweisen beabsichtigte: oder wem etwas zu beweisen er das Bedürfnis verspürte. Aber sie erkannte die Gefahr.
Maxim Igensard schrak vor nichts zurück.
»Tragischerweise, Direktorin Hannish, habe ich so viele Fragen, daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.« Er redete mit ihr, ohne sie anzuschauen: Vielmehr blieb er den Konzilsangehörigen zugewandt – und Cleatus Fane. Sein Blick ruckte durch den Saal, als forschte er unausgesetzt nach anderer Leute Schwächen. »Wie schon angedeutet, haben meine Untersuchung des Falls Thermopyle und meine Beschäftigung mit den Vorkommnissen, die Konzilsvorsitzender Len die ›akute Krise‹ nennt, bei mir zu dem Eindruck einer nahezu allgegenwärtigen Korruption und Gaunerei geführt. All das muß auf die eine oder andere Weise aufgeklärt werden.«
»Ich bin völlig Ihrer Meinung«, versicherte Koina in vollem Ernst. Maxim
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