Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Genau wie Fasner mußte er zumindest gemerkt haben, daß die Geschehnisse sich in eine Richtung entwickelten, die der Drache nicht vorausgesehen und auf die er keinen Einfluß hatte. Möglicherweise ahnte er vage, daß sie einem Auftrag nachging, der ihm und seinem Boss unüberschaubaren Schaden zufügen mochte.
Die Partei, auf deren Seite er agierte, klärte für Koina ab, auf welcher Seite sie zu stehen hatte. Sein Wunsch, daß sie schweigen sollte, bestärkte sie in der Absicht, das Wort zu ergreifen.
Die VMK hat sowieso die Verantwortung für die VMKP.
Wenn es sich einrichten ließ, wollte sie ihm – und Fasner – diese Verantwortung unter die Nase reiben.
»Direktorin Hannish«, zischelte er ihr nach; aber sie drehte nicht einmal den Kopf.
Eindeutig mißfiel es dem Sonderbevollmächtigten, daß sie die Absicht hatte, zu ihm auf die Empore zu steigen. Ohne Zweifel donnerte er seine Anschuldigungen lieber von oben auf sie hinunter; hätte er sie gerne mit dem schieren Ausmaß seiner gerechten Entrüstung gründlich verzweifelt. Bei meiner auftragsgemäßen Untersuchungstätigkeit habe ich Hinweise auf Amtsmißbrauch, Dienstvergehen und Korruption der übelsten Art sammeln können. Kaum hatte Koina ihren Platz verlassen, hob er die Hand und unternahm gleichfalls einen vergeblichen Versuch, um sie aufzuhalten. »Das ist nicht nötig, Direktorin«, schnauzte er gereizt. »Wir alle können Sie auch hören, wenn Sie da unten stehen.«
Bis auf weiteres ignorierte sie ihn geradeso, wie sie eben Cleatus Fane mißachtet hatte. Es galt vieles zu sagen; sie mußte sich Fragen stellen; Risiken tragen; Befürchtungen übergehen. Im Moment jedoch interessierte es sie mit höchster Priorität, nach Möglichkeit Maxim Igensards Bann über das Regierungskonzil zu brechen. Trotz der Einwände und Zweifel solcher Konzilsdeputierter wie Tel Burnish, Blaine Manse und Sixten Vertigus war es Igensard schon gelungen, das halbe EKRK von Warden Dios’ Schuld zu überzeugen. Und in gewissem Sinn hatte er recht: daß die Stiller Horizont die Erde angeflogen und das Superlicht-Protonengeschütz auf Suka Bator gerichtet hatte, war eine direkte Folge von Dios’ Festlegungen und Taten. Ehe Koina irgend etwas anderes in Angriff nahm, mußte sie die emotionale Wirkung der Beschuldigungen des Sonderbevollmächtigten zerstreuen.
Sie betrat das Podium in der Absicht, vor der Versammlung soviel Statur wie er zu erlangen.
Äußerlich fiel es ihr leicht: Sie war gut 15 Zentimeter größer als Igensard. Aufgrund der ominösen, nachgerade hysterischen Selbstgerechtigkeit jedoch, die er ausstrahlte, des von ihm vermittelten Eindrucks, eine lebende geballte Ladung zu sein, schien trotzdem er größer als sie zu sein. Man hätte meinen können, seiner Kapazität zum Selbstaufblähen wären keine Grenzen gezogen.
Vordergründig betrachtet, hatte sie ihm nichts als äußere Schönheit und vorgetäuschte Ruhe entgegenzusetzen – und ihren Willen, sich an die Wahrheit zu halten. Darüber hinaus jedoch stand ihr die Waffe einer gewissen, von Godsen Frik erlernten und deshalb etwas hinterfotzigen Raffinesse zur Verfügung. Sie hatte aus seinen unablässigen Machenschaften eine Menge gelernt.
Als sie sich zu Maxim Igensard ans Pult gesellte, wandte er sich, als wäre ihr Verhalten ein Tagesordnungsproblem, an Abrim Len. »Konzilsvorsitzender Len?«
Len hatte sich, während Igensard ans Mikrofon gegangen war, im Hintergrund des Podiums auf einen Stuhl gesetzt. Er stand nicht auf, als der Sonderbevollmächtigte ihn ansprach; er hob nur mit verstohlenem Glitzern in den Augen den Kopf. »Sie haben sie zur Stellungnahme aufgefordert, Sonderbevollmächtigter.« Sein Tonfall zeichnete sich durch mehr Entschiedenheit aus, als Koina von ihm erwartet hätte. »Wenn Sie wollen, daß sie Ihre Fragen beantwortet, ist es durchaus wünschenswert, daß sie steht, wo wir alle sie sehen können.«
»Lassen Sie sie endlich zu Wort kommen, Igensard«, rief Kapitän Vertigus in scharfem Ton, bevor der Sonderbevollmächtigte weiter opponieren konnte. Der greise Konzilsdelegierte kannte selbst genug Gründe, um empört zu sein. Als einen der unerschütterlichsten Befürworter der VMKP mußten Igensards gegen Dios gerichtete Verdächtigungen ihn zutiefst aufgebracht haben. »Ihre Fragen kennen wir inzwischen. Nun geht es um die Antworten.«
»Ich schließe mich dieser Auffassung an, falls jemand auf die Ansichten meiner Wenigkeit etwas gibt«, sagte auf der anderen Seite
Weitere Kostenlose Bücher