Amnion 5: Heute sterben alle Götter
brauchte sie weniger Zeit damit zu verschwenden, darauf zu warten, daß die Datenverwaltung ihre langwierigen Personenermittlungsverfahren zu Ende brachte.
»Besteht die Aussicht«, fragte sie, »daß ich ’n Zünder finde?«
Hashi unternahm eine vorsätzliche Anstrengung, um die Ruhe zu behalten; friedlich und besonnen zu bleiben. Er mochte sich von Harbingers Angespanntheit nicht anstecken lassen. »Wer weiß?« Zu viele Faktoren mußten berücksichtigt werden: Sprengstoffsorte, Sprengkraft, Form der Sprengladung, Rückprallen der Explosionswucht von den benachbarten Wänden. »Aber falls Sie einen entdecken«, fügte er mit verschärftem Nachdruck hinzu, »dürften die entsprechenden Informationen entscheidende Bedeutung haben. Verstehen Sie mich, Lane?«
Sie saugte an der Nik. »Was gibt’s da zu verstehen? Oder kommt’s noch auf was anderes an?«
»Nicht um viel, aber um noch einiges mehr«, antwortete Hashi Lebwohl. Er kannte die Wahrheit; was Lane Harbinger herausfand, konnte sie nur noch bestätigen. Dennoch hing die Stichhaltigkeit der Beweise, die er Warden Dios vorzulegen beabsichtigte, von dem ab, was Lane Harbinger aufzudecken schaffte.
»Auf alle Fälle«, sagte er, »ist das hier von Interesse.« Beiläufig, fast verstohlen, als wünschte er dabei nicht gesehen zu werden, schob er Imposs’ alias Alts Dienstmarke und Id-Plakette in Lane Harbingers Tasche.
Sie befühlte sie mit den Fingern und nickte entschieden. »Da bin ich mir sicher.«
Der Leichensack lag transportbereit auf der fahrbaren Bahre. Lane Harbinger machte Anstalten, sich dem Personal mit der Bahre anzuschließen. Doch trotz seiner Zwangslage und seiner Bestrebungen rief Hashi Lebwohl sie zurück. Indem er seinen Ernst mit dem ihm eigenen, schrulligen Humor kaschierte, teilte er ihr mit, daß er die Resultate »relativ augenblicklich« zu haben wünschte. »Aktivieren Sie Ihren geistigen Ponton-Antrieb, Lane. Schlagen Sie der Zeit ein Schnippchen, wenn’s sein muß.«
Er wollte die Ergebnisse erfahren, ehe er bei Warden Dios antanzen mußte.
Lane Harbinger reagierte, indem sie schnaubte und dabei Rauch ausstieß. »Gelingt mir das nicht jedesmal?«
Hashi lachte röchelnd. »Doch. Doch, wahrhaftig.«
Er wartete, bis sie mitsamt dem Leichensack das Dock verlassen hatte, bevor er sich gleichfalls auf den Weg machte.
Inzwischen fragte er sich, wie lange Warden Dios wohl noch mit dem Herbeizitieren säumen mochte.
Über eine Stunde verstrich, ehe Hashi Lebwohl vom VMKP-Polizeipräsidenten die Weisung erhielt, sich unverzüglich in einem der Konferenzzimmer Warden Dios’ einzufinden.
Hashi hatte die Zwischenzeit keineswegs vertan. Als erstes hatte er eine Anzahl von Priorität-Rot-Modifikationssperren – Knallrot-Verbote, wie man sie manchmal nannte – einrichten lassen: eines für jede Kommunikationsfrequenz und jeden Computer, die zum Anodynum-Systemewerk gehörten oder zu ihm Verbindung hatte, der VMK-Tochterfirma, die KMOS-SAD-Chips produzierte; eines für die Personaldateien der VMKP; und eines für jeden Computer, die man an Holt Fasners Stammsitz für allgemeine Dienst-, Personal- sowie Betriebsschutz-Kooperationszwecke benutzte. Ein sogenanntes Knallrot-Verbot hinderte niemanden daran, in elektronische Dateien Einsicht zu nehmen oder Kommunikationsverbindungen zu verwenden; allerdings machte es Veränderungen an Dateien sowie Übertragungsprotokollen und -aufzeichnungen unmöglich. Gleichzeitig zeigte es der DA jeden Versuch derartiger Beeinflussung an und verfolgte die Codes und Übertragungswege der Täter bis zu ihrem Ursprungsort zurück.
Einerseits war sich Hashi Lebwohl absolut sicher, daß die Techniker des Drachen eine Priorität-Rot-Modifikationssperre, egal, wie knallrot sie sein mochte, zu umgehen oder zu deaktivieren verstanden. Andererseits hegte er die Überzeugung, daß sie darauf verzichteten, erstens weil Holt Fasner wohl schwerlich unterstellte, es seien hochwichtige Unterlagen in der Gefahr des Auffliegens, zweitens weil Fasner gewiß davon ausging, sämtliche Peinlichkeiten, die sich aus irgendwelchen Dateien ergeben könnten, würden durch Warden Dios abgewehrt, und drittens weil der Drache bestimmt gerne im Rahmen seiner gewohnten Politik das Trugbild der Offenheit und Ehrlichkeit aufrechterhielt. Statt Widerstand rechnete Hashi Lebwohl mit passiver Duldung: einer neuen Illusion.
Einem Trugbild, das zweifelsohne in mörderische Wut auf Hashi Lebwohl persönlich umschlug, sobald der
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