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An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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noch gut an die letzten Weihnachtsfeiertage, die sie zusammen verbracht hätten.
    »Ich habe ungefähr einen Monat vor seinem Tod
mit ihm telefoniert«, sagte Andreas. »Ich wollte ihn besuchen, aber ich habe zu lange gewartet. Es hat ja niemand damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde.«
    »Er hat sich immer sehr gefreut, wenn du ihn angerufen hast.«
    Andreas sagte, die Trauerfeier sei schrecklich gewesen. Er sei sich vorgekommen wie in einem schlechten Film. Er habe gar nicht begriffen, was geschehen sei.
    »Ich glaube, ich war ihm näher, als ich gedacht habe. Ich habe ihn ja nicht oft gesehen in den letzten Jahren, und wenn ich mit ihm telefoniert habe, wusste ich nicht, was sagen. Aber ich habe ihn oft wiedererkannt in dem, was ich tat und sagte.«
    »Einmal hat er mir gesagt, er hätte auch gern so gelebt wie du«, sagte Bettina. »Du gleichst ihm wirklich.«
    Auf dem Kiesweg waren Schritte zu hören, und Andreas bat Bettina, Walter nichts zu sagen von seiner Krankheit. Er mache sich sonst nur Sorgen.
    »Hast du jemanden, mit dem du reden kannst?«, fragte Bettina.
    »Ja«, sagte Andreas, »ich glaube schon.«
    »Du weißt, dass du jederzeit zu uns kommen kannst. Du kannst auch bei uns wohnen, wenn es nicht mehr geht. Wir haben Platz genug.«
    »So weit ist es noch nicht«, sagte Andreas. »Danke für das Angebot.«
    Sie sagte, er solle sich etwas häufiger melden, und er versprach es. Er sah, dass sie feuchte Augen hatte. Als Walter zu ihnen trat, wandte sie sich ab.
    Andreas sagte, er werde vom Friedhof aus direkt ins Hotel gehen. Er wolle heute noch fahren. Walter sagte, das sei schade.
    Andreas trat zu Bettina. Sie drehte sich um und umarmte ihn. Dann gingen sie alle zusammen ins Haus. Drinnen rief Walter die Kinder.
    »Andreas muss los«, rief er.
     
    Sie gingen zu Fuß zum Friedhof. Andreas fragte Walter, wie es ihm gehe, was er mache, und Walter fing an zu erzählen. Er erzählte von den Ferien in Schweden, aus denen sie eben zurückgekehrt waren, von einer verpassten Fähre und einer Kanutour im Regen. Er machte eine harmlose Bemerkung über die schönen Schwedinnen. Andreas hatte Walter noch nie so viel reden gehört.
    Walter sagte, es seien vielleicht die letzten gemeinsamen Ferien, die sie gemacht hätten. Maja wäre schon dieses Jahr lieber mit einer Freundin trampen gegangen. Sie werde nächstes Jahr das Gymnasium abschließen und dann vielleicht für ein paar Monate nach Frankreich gehen, um die Sprache zu lernen. Es habe ihr sehr gut gefallen in Paris, damals, als sie Andreas besucht hätten. Lukas wisse nicht, was er einmal machen wolle, aber er habe ja noch viel Zeit, sich zu entscheiden. Bettina denke daran, wieder zu arbeiten, wenn die Kinder aus dem Haus seien. Sie mache einen Computerkurs.
    »Und wie geht es dir?«, fragte Andreas.
    »Gut«, sagte Walter. »Dass ich zum Prokuristen befördert worden bin, hat einiges verändert.«
    »Das hast du mir gar nicht gesagt.«
    Walter machte eine abwehrende Handbewegung. Das sei schon zwei Jahre her. Er sagte, es sei keine Traumstelle. Er habe oft daran gedacht, sich etwas anderes zu suchen. Aber bei der derzeitigen Wirtschaftslage sei das nicht mehr so einfach. So wie er sich kenne, werde er wohl bis zur Pensionierung bei derselben Firma bleiben. Er lachte verlegen.
    »Das muss dir alles furchtbar langweilig vorkommen.«
    »Nein«, sagte Andreas. »Nein, das ist nicht langweilig. Manchmal beneide ich dich um die Kinder und um Bettina. Dein Leben ist weitergegangen.«
    Auf dem Friedhof war kein Mensch. Walter ging zielsicher auf das Grab zu, und Andreas fragte sich, ob er oft hier war. Walter war niedergekniet und zupfte ein paar dürre Ästchen von einer kleinen Staude, die vor dem Grabstein wuchs.
    Es mache ihm nichts aus, dass das Grab aufgehoben werde, sagte Andreas. Er denke oft an die Eltern, aber die Erinnerungen an sie seien mit den Orten verbunden, an denen sie gelebt hätten, nicht mit dem Ort, an dem sie begraben seien. Walter gab keine Antwort. Er hatte während all ihrer Telefonate nie über die Eltern gesprochen. Auch jetzt sprach er nicht über sie, sondern nur über das Grab und die Bepflanzung, die er im Frühjahr erneuert habe, obwohl es sich eigentlich nicht mehr lohne.
    Schweigend standen sie vor dem Grab. Dann sagte Walter, So!, als habe er eine Arbeit abgeschlossen. Seine Stimme klang unbeschwerter, als er auf dem Weg durch
die Gräberreihen über den einen oder anderen Toten sprach, den sie beide gekannt hatten,

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