Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
Vom Netzwerk:
Prolog
Hauptsache, eine saubere Leiche
    Der Tod ist eine Schnecke.
    Er kriecht sehr viel langsamer an einen heran, als man sich das als Betroffener wünschen würde.
    Zumindest war das bei Ludger Klier der Fall.
    Er radelte seit über zwanzig Jahren. Nicht professionell, aber fanatisch. Er war fitter als ein Nike-Turnschuh. Den Alpe d’Huez hatte er schon zwei Mal genommen.
    »Wenn ich mal abtrete, dann bergab auf dem Rad bei Tempo hundertsechzig. Zack und aus. Natürlich erst im reifen Alter von neunzig«, hatte er zu seinem Fünfundvierzigsten in löwenbräubierseliger Runde im Goldenen Adler verkündet.
    Deswegen fuhr er auch immer ohne Helm. Damit gleich das Licht ausging, wenn es ihn einmal wegen Aquaplanings aus der Kurve tragen sollte.
    Nicht lange leiden.
    Klappe zu, Radler tot.
    An diesem Samstagnachmittag gegen fünf war Ludger Klier fünfundvierzig Jahre, drei Monate, sieben Tage und sechsunddreißig Minuten alt. Was er noch nicht wusste: Viel mehr Lebenszeit hatte das Schicksal nicht für ihn vorgesehen.
    Es fing mit übermäßigem Schwitzen an.
    Komisch, dachte Klier, der – für seine Verhältnisse gemütlich – bei kühl zu nennender Temperatur auf dem Kocher-Jagst-Radweg radelte.
    Reines Sightseeing.
    Nur so zum Spaß.
    Und vielleicht um eine knackige Radlerin aufzureißen.
    Ludger Klier war ein guter Katholik, worunter er verstand, dass er an die zehn Gebote und die sieben Todsünden glaubte und so viel wie möglich davon einhielt beziehungsweise vermied, ohne sich dabei allzu sehr verbiegen zu müssen. Dass Sex nur im Rahmen der Ehe und auch nur zur Fortpflanzung geschaffen war, glaubte er allerdings nicht. Und als eingefleischter Junggeselle suchte er stets nach sich bietenden Gelegenheiten, um diesen seinen Nicht-Glauben auch ganz praktisch unter Beweis zu stellen. Vorzugsweise mit willigen Blondinen. Aber in Dürrezeiten gern auch mit Rothaarigen, Brünetten oder was die L’Oreal-Tönungstuben sonst noch hergaben.
    Hypochonder, der er war, machte er sich Sorgen, als er neben den Schweißausbrüchen auch plötzlich Stiche in der Brust verspürte. Ein Herzinfarkt?
    Klier hielt an und maß seinen Puls.
    Völlig normal.
    Klier trank in großen Schlucken den Rest seines Energy-Drinks und radelte weiter.
    Die Sonne schien nur verhalten. Es war kein Bilderbuchherbst. Vielleicht war Klier deshalb allein auf weiter Flur.
    Und so beobachtete auch niemand, wie er eine knappe Viertelstunde später auf einer rasanten Abfahrt urplötzlich seinen Mageninhalt auf die hellblaue Radlerhose erbrach und gleich darauf in hohem Bogen ins Unterholz krachte.
    Da lag er dann noch eine ganze Weile.
    Halb unter seinem Rad, halb unter einem üppigen Brombeerbusch. Unsichtbar für alle, die des Wegs kamen.
    Anfangs hätte man ihn noch hören können. Er röchelte sehr laut. Doch Klier verschreckte mit seinem Röcheln nur diverses Kleingetier.
    Und sich selbst.
    Er, der Lance Armstrong des Landkreises Schwäbisch Hall, vier Mal auf der Titelseite des
Haller Tagblattes
, er, Ludger Klier, war nicht länger Herr seiner Muskulatur. Seine Extremitäten zuckten hektisch, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Sein Herz raste, was Klier in erster Linie in Form von ungewohnten Angstgefühlen wahrnahm. Er wollte nach seinem Handy tasten, aber sein Arm gehorchte ihm nicht mehr. Seine Zunge auch nicht. Der Unterkiefer verkrampfte. Die Lider flatterten.
    Natürlich bleibt reine Spekulation, was für Gedanken Ludger Klier in diesen letzten Sekunden seines Lebens durch den Kopf schossen.
    Aber wer Klier kannte, durfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er sich grämte. Nicht wegen seines allzu frühen Ablebens – obwohl all seine männlichen Verwandten es bis in die hohen Achtziger geschafft hatten, wenn sie nicht im Krieg geblieben oder mit überhöhter Geschwindigkeit nach durchzechter Nacht gegen einen Autobahnbrückenpfeiler gerast waren – und nicht einmal wegen dieses unerwarteten, völlig unerklärlichen Todes. Dass er mitten aus dem prallen Leben gerissen wurde, war völlig in Ordnung. Es traf schließlich jeden. Und Gevatter Tod holte die Besten immer zuerst. War man über vierzig, so musste man sich ja förmlich schämen, noch am Leben zu sein.
    Nein, ihm setzte etwas anderes zu. Er, Ludger Klier, dieses durchgestylte männliche Muskelpaket, war zeit seines Lebens enorm eitel gewesen. Wenn schon sterben, dann optisch augenfällig. Hauptsache als saubere Leiche.
    Doch nun lag er im Gebüsch,

Weitere Kostenlose Bücher