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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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gesehen.«
    Marta starrt sie an. »Unmöglich! Warum sollte er mir, der Verräterin, einen Teil seines Besitzes vermacht haben?«
    »Schwarz auf weiß und notariell beglaubigt.«
    »Was sagt Kati dazu?«
    Sophia verdreht die Augen.
    Jetzt besitzen wir doch noch gemeinsam ein Haus!
    »Komm, ich will dir etwas zeigen.« Sophia winkt Marta, ihr zu folgen, und verlässt die Küche. Aus dem Untergeschoss tönen Stimmen herauf. Sophia läuft den Flur entlang, zieht die
oberste Schublade einer Kommode auf und holt unter einem Stapel Stoffservietten einen Schlüssel hervor, den sie in die angrenzende Tür steckt. Richards Arbeitszimmer ist gefüllt mit Aktenordnern, Bildbänden, Papierrollen. Hier hat sich wenig verändert, als wäre dieser eine Raum zum Zeitpunkt der Umgestaltung dem Haus schon nicht mehr zugehörig gewesen. Der gleiche alte Schreibtisch aus Eichenholz, Regale bis zur Decke, die Afrikakarte an der Wand, auf der sich an der Westküste bunte Stecknadelköpfe ballen. Eine Ecke hat sich von der Holzvertäfelung gelöst und rollt sich bis zum Sudan herunter. Daneben einige gerahmte Fotografien: Richard mit dem Gewehr in der Hand, den rechten Fuß auf den Kadaver einer Antilope gestellt; Richard am Steuer eines offenen Jeeps, eine Elefantenherde im Hintergrund; Richard mit Schutzhelm, umringt von Afrikanern in zerschlissenen Latzhosen; Richard, lachend, einen jungen Affen im Arm; Richard beim Händedruck mit Präsident Houphouët-Boigny; Richard vor der Villa in Bouaké. Der letzte Rest Afrika in Richards Umgebung, auch der bereits ausgedünnt: Helle rechteckige Flecken an der Wand bezeugen, dass Rahmen, die hier ursprünglich gehangen haben, entfernt wurden: Aufnahmen von Gattin und Töchtern.
    Marta schaut nach Sophia, die sich auf dem Schreibtischstuhl niedergelassen hat und mit einem kleinen silbernen Schlüssel die Hängeregistratur zu öffnen versucht. Sie schlägt mehrmals mit der Faust gegen das Schubfach, versetzt dem Schreibtisch von unten einen Tritt, kippt beinahe nach hinten, als ihr der Schub entgegenfliegt.
    Überall Staub und Schmutz: fünfunddreißig aufgegebene Quadratmeter.
    Da ist die Erinnerung an einen Tag, an dem Marta von dem würzigen Geruch angezogen wurde, der geheimnisvoll aus diesem
Zimmer drang, sie überlegte, was hinter der dunklen Holztür vorgehen mochte, lauschte, als Klänge von Musik zu hören waren, verschwand rasch um die nächste Ecke, sobald die Klinke sich bewegte. Die Kinder betraten diesen Raum selten; allenfalls warteten sie an der Schwelle, um Einkäufe abzuliefern, zu denen der Vater sie beauftragt hatte: Tabak, Zigaretten, Bleistifte. Sie versuchten dann, einen Blick auf das Innere zu erhaschen, und tauschten sich später darüber aus, wenn sie etwas Bemerkenswertes entdeckt hatten. Jedenfalls solange sie sich noch in so etwas wie einem Austausch befanden.
    Auf dem Zeichentisch liegen vergilbte Pläne, Richard hat mit rotem Filzstift Linien durchgestrichen, SCHROTT, MIST, UNBRAUCHBAR! ist in Großbuchstaben an den Rand gekritzelt. Das letzte Projekt des großen Baumeisters ist eine Bushaltestelle gewesen. Um den Tisch herum: zusammengeknülltes Papier, Fetzen zerrissener Fotografien, leere Briefumschläge, Tabakkrümel, Pfeifenreiniger, silberne Schraubdeckel, Absolute Wodka. Whiskey ist wohl irgendwann zu teuer geworden. Traurige Reste einer implodierten Verzweiflung oder die natürliche Unordnung des Säufers, am Schluss vielleicht beides. Auf der Fensterbank findet sich ein Lebenszeichen, mutmaßlich jüngeren Datums: Richards Pfeife, achtlos hingeworfen, Tabakreste sind herausgerieselt. Er muss gelegentlich doch noch hier gewesen sein, zu Besuch im Mausoleum seiner ersoffenen Träume. Gleich kommt er zur Tür herein, das kleine schwarze Lederetui in der Hand. Er wird sich suchend umblicken, »ah, da ist sie ja« sagen, auf dem Sessel am Fenster Platz nehmen, mit flatternden Fingern die Pfeife stopfen und sich in ihrem Dunst auflösen.
    Dein Totenschein berechtigt nicht dazu, mich in der Sicherheit deines Verschwindens zu wiegen.
    Eine Amsel landet hinter dem Fenster auf einem Ast, der bis
an die Hauswand reicht. Sie hält ihren Kopf schief, beäugt die Bewegungen jenseits der Scheibe. Unterhalb ihres Landeplatzes ist ein Holzkästchen zu erkennen, das an einem Draht in die Zweige gehängt wurde. Es sieht nicht aus, als hinge es länger als einen Winter dort: Das Holz ist in gutem Zustand, die kleinen Dachschrägen sind grün gestrichen, der Stab, der unter dem

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