ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
steckte, um doch etwas zu retten. Der Höker lief zu seinen Obligationen und das Dienstmädchen nach seiner Seidenmantille, die zu kaufen ihr kürzlich ihre Mittel gestattet hatten. Jeder wollte das Beste retten, und das wollte auch der kleine Wichtel. In ein paar Sprüngen war er die Treppe hinauf und beim Studenten drinnen, der ganz ruhig am offenen Fenster stand und auf das Feuer herabsah, das im gegenüberliegenden Hause ausgebrochen war. Der kleine Wichtel griff nach dem wunderbaren Buche auf dem Tisch, steckte es in seine rote Kappe und hielt es mit beiden Händen fest. Des Hauses bester Schatz war gerettet! Und dann rannte er davon, aufs Dach und ganz oben auf den Schornstein hinauf, und dort saß er dann, von dem brennenden Hause gegenüber beleuchtet, und beide Hände fest um seine rote Kappe gepreßt, worin der Schatz lag. Nun erkannte er sein innerstes Herz und wem er eigentlich zugehörte, als jedoch später das Feuer gelöscht war und er seine Besinnung wiederfand, ja, da sagte er: "Ich will mich zwischen sie teilen. Ich kann mich von dem Höker nicht ganz lossagen, wegen der Grütze."
Und das war ja auch ganz menschlich! - Wir anderen gehen ja auch zum Höker -- wegen der Grütze.
Das stumme Buch
An der Landstraße im Walde lag ein einsamer Bauernhof. Man mußte mitten durch den Hofraum hindurch. Da schien die Sonne, alle Fenster standen offen. Leben und Emsigkeit herrschte innen. Aber im Hofe, in einer Laube aus blühendem Flieder, stand ein offener Sarg. Der Tote war hier hinausgesetzt worden, denn am Vormittag sollte er begraben werden. Niemand stand und blickte voll Trauer auf den Toten, niemand weinte um ihn. Sein Gesicht war von einem weißen Tuche bedeckt und unter seinem Kopfe lag ein großes dickes Buch, dessen Blätter jedes ein ganzer Bogen aus grauem Papier waren. Und zwischen jedem lagen, verborgen und vergessen, verwelkte Blumen, ein ganzes Herbarium, das an verschiedenen Orten zusammengesucht war. Das sollte mit ins Grab, das hatte er selbst verlangt. An jede Blume knüpfte sich ein Kapitel seines Lebens.
"Wer ist der Tote?" fragten wir, und die Antwort war: "der alte Student von Upsala! Er soll einst ein tüchtiger Mann gewesen sein, gelehrte Sprachen verstanden, Lieder singen und schreiben gekonnt haben, sagt man. Aber dann ist ihm etwas in die Quere gekommen, und er ersäufte alle seine Gedanken und sich selbst mit im Branntwein. Und als seine Gesundheit zerstört war, kam er hier auf das Land hinaus, wo für ihn ein Kostgeld entrichtet wurde. Er war fromm wie ein Kind, wenn nicht der schwarze Sinn über ihn kam, denn dann gewann er seine Kräfte wieder und lief im Walde umher wie ein gejagtes Tier. Aber wenn wir ihn wieder zu fassen bekamen und ihn dazu brachten, in dies Buch mit den trocknen Pflanzen hineinzuschauen, konnte er den ganzen Tag sitzen und eine Pflanze nach der anderen anschauen. Und oftmals liefen ihm die Tränen über die Wangen dabei nieder. Gott mag wissen, an was er dabei dachte! Aber das Buch bat er mit in seinen Sarg zu legen, und nun liegt es dort, und um eine kurze Stunde soll der Deckel zugeschlagen werden und er wird sanft im Grabe ruhen."
Das Leichentuch wurde gelüftet; es lag Frieden über dem Antlitz des Toten. Ein Sonnenstrahl fiel darauf, eine Schwalbe schoß in ihrem pfeilschnellen Fluge in die Laube und wendete sich im Fluge zwitschernd über des Toten Haupt.
Wie wunderlich ist es doch - wir kennen gewiß alle das Gefühl - alte Briefe aus unserer Jugendzeit hervorzunehmen und sie wieder zu lesen. Da taucht gleichsam ein ganzes Leben vor uns auf, mit all seinen Hoffnungen, all seinen Sorgen. Wie viele von den Menschen, mit denen wir in jener Zeit so herzlich vertraut zusammen lebten, sind für uns gestorben, obwohl sie noch leben. Aber wir haben lange Zeit nicht mehr an sie gedacht, von denen wir einstmals glaubten, daß wir stets mit ihnen verbunden bleiben und Freude und Leid mit ihnen teilen würden.
Das welke Eichenblatt im Buche hier erinnert an den Freund, an den Freund aus der Schulzeit, den Freund für das ganze Leben. Er heftete dieses Blatt an die Studentenmütze im grünen Walde, als der Freundschaftspakt fürs ganze Leben geschlossen wurde. - Wo lebt er nun? - Das Blatt wurde bewahrt, die Freundschaft vergessen! - Hier ist eine fremdartige Treibhauspflanze, zu fein für die Gärten des Nordens - es ist, als sei noch ein Duft über diesen Blättern. Sie gab sie ihm, das Fräulein aus dem adligen Garten.
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