Ange Pitou, Band 1
gewöhnlichen Zeiten war sein Anzug einfach und streng, wie der eines Quäkers. Doch diese Strenge grenzte durch die außerordentliche Reinlichkeit an die Eleganz. Sein etwas mehr als mittlerer Wuchs war schön geformt; was seine ganz nervöse Stärke betrifft, so haben mir soeben gesehen, wie weit sie in einer ersten Bewegung der Gereiztheit gehen konnte, mochte diese Gereiztheit nun den Zorn oder den Enthusiasmus zur Ursache haben.
Obschon seit sechs Tagen im Kerker, hatte doch der Gefangene dieselbe Sorge auf sich verwendet; sein mehrere Linien langer Bart hob noch mehr sein blasses Gesicht hervor und zeigte die einzige Spur von Vernachlässigung.
Nachdem er Pitou und Billot in seine Arme geschlossen.wandte er sich gegen die in sein Gefängnis eingedrungene Menge.
Dann, als ob ein Augenblick genügt hätte, ihm die ganze Herrschaft über sich selbst wieder zu verleihen, sprach er:
Der Tag, den ich vorhergesehen, ist gekommen. Dank Euch, meine Freunde, Dank dem ewigen Geiste, der über der Freiheit der Völker wacht.
Und er reichte seine beiden Hände der Menge, die, an der Erhabenheit seines Blickes, an der Würde seiner Stimme einen großen Mann erkennend, dieselben kaum zu berühren wagte.
Dann verließ er seine Zelle und ging, gestützt auf die Schulter von Billot und gefolgt von Pitou und seinen Befreiern, allen diesen Menschen voran.
Der erste Augenblick war von Gilbert der Freundschaft und der Dankbarkeit geschenkt worden, der zweite hatte die Entfernung erwogen, die den gelehrten Doktor getrennt von dem unwissenden Pächter, dem guten Pitou und dieser ganzen Menge, die ihn befreite.
Bei der Thüre angelangt, blieb Gilbert vor dem Lichte des Himmels, das ihn überströmte, stehen. Er blieb stehen, kreuzte die Arme auf seiner Brust, schlug die Augen zum Himmel auf und sprach: Gegrüßet seist du, schöne Freiheit; ich habe deiner Geburt bereits drüben in der neuen Welt beigewohnt, und wir sind alte Freunde. Gegrüßet feist du, schone Freiheit!
Und das Lächeln des Doktors besagte in der That: der Jubel, den er hier von einem ganzen freiheitstrunkenen Volke vernahm, sei für ihn nichts neues.
Nachdem er sich sodann einige Sekunden gesammelt hatte, fragte er:
Billot, das Volk hat also den Despotismus besiegt?
Ja, Herr.
Und Sie haben sich geschlagen?
Ich bin gekommen, um Sie zu befreien.
Sie wußten von meiner Verhaftung?
Ihr Sohn hat mich heute morgen davon unterrichtet.
Armer Emil! haben Sie ihn gesehen?
Ich habe ihn gesehen.
Ist er ruhig in seiner Kostschule geblieben?
Ich habe ihn, sich sträubend, in den Händen von vier Krankenwärtern gelassen.
Ist er krank, hat er das Delirium?
Er wollte mit uns ziehen, um sich zu schlagen.
Ah! rief der Doktor, und ein Lächeln des Triumphes umspielte seine Lippen. Sein Sohn entsprach seiner Hoffnung.
Sie haben also gesagt? fragte er Billot.
Ich habe gesagt, da der Doktor Gilbert in der Bastille ist, so nehmen wir die Bastille. Nun ist die Bastille genommen. Das ist noch nicht alles.
Was giebt es noch?
Das Kistchen ist gestohlen.
Das Kistchen, das ich Ihnen anvertraute?
Ja.
Und durch wen gestohlen?
Durch Leute, die sich unter dem Vorwand, Ihre Broschüre in Beschlag zu nehmen, bei mir eingeschlichen, mich verhaftet, eingeschlossen, das Haus durchsucht, das Kistchen gefunden und fortgenommen haben.
An welchem Tage?
Gestern.
Ho! ho! es findet offenbar ein Zusammenhang zwischen meiner Verhaftung und dem Diebstahl statt. Dieselbe Person, die mich festnehmen ließ, hat zu gleicher Zeit auch das Kistchen stehlen lassen. Erfahre ich den Urheber der Verhaftung, so kenne ich auch den Urheber des Diebstahls. Wo sind die Archive? fragte der Doktor den Gefangenwärter.
Im Hofe des Gouvernements, mein Herr, antwortete dieser.
Zu den Archiven also, Freunde, zu den Archiven! rief der Doktor.
Mein Herr, sagte der Gefangenwärter, der ihn einen Augenblick zurückhielt, lassen Sie mich Ihnen folgen, oder empfehlen Sie mich diesen wackern Leuten, damit mir kein Unglück widerfährt.
Es sei, sprach Gilbert.
Dann wandte er sich an die Menge, die ihn mit einer Mischung von Neugierde und Ehrfurcht umgab, und sagte:
Freunde, ich empfehle euch diesen braven Mann; er trieb sein Handwerk, indem er die Thüren öffnete und schloß; doch er war mild gegen die Gefangenen, und es werde ihm kein Leid angethan.
Nein! nein! rief man von allen Seiten; nein, er fürchte sich nicht, er braucht nicht bange zu haben, er komme.
Ich danke, mein Herr, sagte der
Weitere Kostenlose Bücher