Ange Pitou, Band 1
war er verschwunden. Billot seufzte, sah umher, erblickte Pitou, eilte nach einem Turme und rief: Dritte Bertaudiere!
Ein zitternder Gefangenwärter fand sich auf seinem Wege.
Dritte Bertaudiere, sagte Billot.
Dorthin, mein Herr, erwiderte der Gefangenwärter, doch ich habe die Schlüssel nicht.
Wo sind sie denn?
Man hat sie mir genommen.
Bürger, leihe mir deine Axt, sprach Billot zu einem Vorstädter.
Ich gebe sie dir, antwortete dieser, ich brauche sie nicht mehr, da die Bastille genommen ist.
Billot ergriff die Axt und eilte, von dem Gefangenwärter geführt, eine Treppe hinauf.
Der Gefangenwärter blieb vor einer Thüre stehen.
Dritte Bertaudiere? fragte er.
Ja.
Das ist hier.
Heißt der Gefangene, der in diesem Zimmer eingeschlossen ist, nicht Doktor Gilbert?
Ich weiß es nicht.
Und nun griff er die Thüre mit gewaltigen Axtstreichen an.
Sie war von Eichenholz; doch unter den Streichen des kräftigen Pächters zersprang das Holz in Splitter.
Nach einigen Sekunden konnte der Blick in die Zelle dringen.
Billot hielt sein Auge an die Öffnung. Durch die Öffnung tauchte sein Blick in das Gefängnis.
In der Linie des Lichtstrahls, der in den Kerker durch das vergitterte Fenster des Turms eindrang, stand, ein wenig zurückgebogen, in der Hand ein aus seinem Bett gerissenes Querholz haltend, ein Mann in verteidigender Stellung.Dieser Mann hielt sich offenbar bereit, den ersten, der eintreten würde, niederzuschlagen.
Trotz seines langen Bartes, trotz seines bleichen Gesichtes, trotz seiner kurz geschnittenen Haare erkannte ihn Billot. Es war der Doktor Gilbert.
Doktor! Doktor! sind Sie es?
Wer ruft mich? fragte der Gefangene.
Ich, ich, Billot, Ihr Freund.
Sie, Billot?
Ja! ja! er! er! wir! wir! riefen zwanzig Stimmen, die bei den furchtbaren Streichen, die Billot that, auf dem Ruheplatz stehen geblieben waren.
Wer, ihr?
Wir, die Sieger der Bastille! Die Bastille ist genommen. Sie sind frei!
Die Bastille ist genommen! ich bin frei! rief der Doktor.
Und er streckte seine beiden Hände durch die Öffnung und rüttelte so gewaltig an der Thüre, daß die Angeln und das Schloß sich losreißen zu wollen schienen, und daß ein schon durch Billot erschütterter eichener Flügel krachte, zerbrach und in den Händen des Gefangenen blieb.
Warten Sie, warten Sie, sagte Billot, denn er begriff, eine zweite der ersten ähnliche Anstrengung würde des Doktors überreizten Kräfte erschöpfen, warten Sie.
Und er verdoppelte seine Streiche.
Durch die Öffnung, die sich immer mehr vergrößerte, konnte er den Gefangenen sehen. Dieser war wieder auf seinen Stuhl gesunken, bleich wie ein Gespenst und unfähig, das Querholz aufzuheben, das bei ihm lag, der kurz vorher, einem Simson ähnlich, beinahe die Bastille erschüttert hätte.
Billot! Billot! murmelte er.
Ja! ja! und auch ich, der Pitou, Herr Doktor; Sie erinnern sich wohl des armen Pitou, den Sie bei Tante Angelique in die Kost gebracht haben; auch Pitou kommt, um Sie zu befreien.
Aber ich kann ja durch diese Öffnung schlüpfen, sagte der Doktor.Nein! nein! antworteten die Stimmen; warten Sie.
Alle Anwesenden vereinigten ihre Kräfte in einer gemeinschaftlichen Anstrengung. Die einen schoben ein Brecheisen zwischen die Mauer und die Thüre, andere ließen einen Hebel am Schloß spielen; wieder andere drückten und stießen mit ihren angestemmten Schultern und ihren krampfhaft zusammengezogenen Händen. Das Eichenholz ließ ein letztes Krachen hören, die Wand schieferte sich ab, und alle stürzten miteinander durch die zerbrochene Thür, durch die abgestoßene Mauer wie ein Strom in das Innere des Gefängnisses. Gilbert befand sich in den Armen von Pitou und von Billot.
Gilbert, der kleine Bauer vom Schlosse Tavernen, Gilbert, den wir in seinem Blute gebadet in einer Grotte der Azoren gelassen haben, war nun ein Mann von vier- bis fünfunddreißig Jahren, von bleicher, aber nicht krankhafter Gesichtsfarbe, mit leuchtenden Augen, voll entschlossener Willenskraft. Nie verlor sich sein Blick umherirrend im Räume; heftete er ihn nicht auf einen äußeren Gegenstand, der ihn zu fesseln würdig war, so heftete er ihn auf seine eigenen Gedanken, und wurde darum nur umso düsterer und tiefer. Seine Nase war gerade und stand mit seiner Stirne durch eine direkte Linie in Verbindung; sie überragte eine stolze Oberlippe, die durch einen leichten Zwischenraum, der sie von ihrer Unterlippe trennte, den blendenden Schmelz seiner Zähne sehen ließ. In
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