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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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war, weil er wußte, was auch immer er sagen würde, einer, der es mitkriegte, würde es Amadeus so weitersagen, daß er Amadeus durch dieses Weitersagen einen Gefallen erwiese. Aus Tausenden solcher Leistungen besteht das, was Gesellschaft heißt. Zweifellos eine irreführende Bezeichnung. Da hatte Gundi recht. Karl befand sich mit Amadeus in einem unerklärten Krieg. Amadeus war die absolute Feindfigur. Er hatte Karl bis jetzt nicht vernichtet, weil er es noch nicht für nötig gehalten hatte. Noch waren sie befreundet. Noch streute ihm Amadeus diesen und jenen Tip hin. Karl hätte nie irgendwo zu irgendwem sagen können, er sei mit Amadeus Stengl befreundet. Amadeus dagegen erwähnte da und dort, daß er mit Karl von Kahn befreundet sei. Wenn Karl das hörte, hielt er es für eine Drohung. Morgen konnte Amadeus die Geschäftspolitik der Firma von Kahn und Partner bemitleidenswert altmodisch nennen und hinzufügen, es falle ihm nicht leicht, so etwas zu sagen, weil er doch mit Karl von Kahn befreundet sei. Daß Karls Finanzdienstleistung bis vor kurzem altmodisch war, vielleicht sogar altbacken, weil jede Spezialisierung, also wohl auch jede Profilierung fehlte, das wußte Karl selber. Aber ihm war das recht gewesen. Und hätte er nicht, einer jähen Aufwallung von Sympathie folgend, den gerade öffentlich verunglimpften Berthold Brauch als Partner aufgenommen und hätte der nicht von der European Business School in Oestrich-Winkel das Junggenie Dr.   Dirk Herzig geholt und wäre der nicht seit Jahren achtzig Stunden pro Woche damit beschäftigt, bei von Kahn und Partner einen hochspezialisierten Technologiefonds aufzulegen, genannt 40plus- TFM, dann, ja dann hätte man ihn samt Firma altmodisch nennen können, aber so …
    Karl hätte sich gern bewiesen, daß Amadeus sein Freund sei. Also zählte er immer wieder zusammen, was dafür sprach, und kam immer wieder zu dem Ergebnis, daß zwar alles Zusammenzählbare für Freundschaft sprach, daß aber seine Angst dadurch überhaupt nicht berührt wurde. Deshalb mußte er sich keine krankhafte Disposition zuschreiben. Die Angst kam allein von der Macht, die Amadeus inzwischen hatte. Hatte und genoß. Karl wußte aus Erfahrung, daß einer, der Macht hat, nicht so genau aufpassen kann, wie oder gegen wen er sie gerade verwendet.
    Er sagte sich, das Wichtigste an Amadeus sei dessen Niveau. Das sprach ihm keiner ab. Amadeus selber nannte sich tatsachenfromm. Andere in seiner Branche, und es sind renommierte andere, werden im Spätsommer, wenn die Nachrichten Urlaub haben, regelmäßig kreativ und kreieren Phänomene und Probleme. Dann war es Amadeus Stengl beziehungsweise Muspilli, der in den Midas-Briefen versuchte, solche erzeugten Erregungen auf ihre wirkliche Bedeutung zurückzubringen. Er hat öffentlich Wetten angeboten, daß der Nano-Hype , der die Nanotechnologie zur Technologie des 21. Jahrhunderts hochjubelte, Firmen-Gründungen verursachte und den seriösen Investierriesen Merrill Lynch dazu verführte, aus fünfundzwanzig Papieren einen Nano-Index zu konstruieren, daß dieser mediengeheizte Schwall in einem Jahr nur noch in der Geschichte der menschlichen Anfälligkeit eine Rolle spielen werde. Ebenso war’s mit dem Stammzellen-Fieber und ähnlichen mediengemachten Hypes. Karls Kunden waren genauso ängstlich, wie es sich gehört. Für den Anleger ist das Weltgeschehen ein Schicksal, das speziell ihm droht. In jedem Augenblick steht Unheil bevor. Nur trainierteste Aufmerksamkeit kann verhindern, daß man plötzlich nichts mehr hat. Alle Werte sind andauernd den raffiniertesten und übelsten Angriffen ausgesetzt, Angriffen, die nichts als die Entwertung dieser Werte zum Ziel haben, ohnehin haben alle Werte die Tendenz, wertlos zu werden, also muß der Dienstleister hochwach sein, um nicht zu versäumen, wenn irgendwo ein neuer Wert entsteht. Amadeus hat Niveau. Wenn er auch Macht hat und dich dadurch jederzeit, selbst wenn er das gar nicht will, einfach vernichten könnte und wenn er es wollte, erst recht, so ist doch seine Macht durch sein Niveau gewissermaßen gezähmt. Ein Mann dieses Niveaus wird, wenn er bemerkt, daß er gerade dabei ist, dich zu vernichten, noch einmal stutzen, wird ES sich noch einmal überlegen.
    Karl merkte: Das Wunschdenken setzt sich durch. Auf Dankbarkeit seitens Amadeus rechnete er nicht. So naiv konnte ihn kein Wunschdenken machen. Jedesmal wenn er irgendwo Amadeus Stengls weißen Rolls-Royce stehen sah, durfte er daran denken,

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