Angstblüte (German Edition)
Brauch von seiner Bayerischen Handelsbank aus dem Verkehr gezogen wurde, weil er von der insolventen Immobiliengesellschaft Pretium , einer Tochter der Handelsbank im Tessin, eine Villa im Wert von eineinhalb Millionen Franken erworben hatte. Für sich erworben hatte. Vorwurf: Herr Brauch habe von Insiderwissen profitiert, also für die Villa keinen marktgerechten Preis bezahlt. Muspilli hatte den Fall über mehrere Midas-Nummern begleitet, hatte, ganz im Gegensatz zur übrigen Presse, Berthold Brauch verteidigt, Karl hatte Amadeus nach dem zweiten Artikel angerufen und ihn gefragt, ob Amadeus Stengl Herrn Brauch ein gebrauchtes Auto abkaufen würde. Amadeus: Sogar eine gebrauchte Frau würde ich dem abkaufen. Und lachte scheppernd, wie er immer, wenn er etwas Lustiges gesagt hatte, lachte. Karl traf sich mit Brauch. Eine Handbreite kleiner als Karl, noch keine sechzig und auf die allgemeinste Art gutaussehend. So gekleidet, als wolle er, bitte, nicht durch Kleidung imponieren. Nur das Hemd mit seinem dünnlinigen Rautenmuster fiel auf. Später erfuhr Karl, daß Herr Brauch alle seine Hemden selber bügle. Immer schon. Niemand könne seine Hemden zu seiner Zufriedenheit bügeln. Ein Pedant also. Aber jetzt war alles gestört, verzerrt, zerquält. Er schlief seit Wochen nur noch zwei, drei Stunden pro Nacht, er konnte die Beruhigungsreden seiner Frau nicht mehr ertragen, er ertrug sich auch selbst nicht mehr. Warum war ihm das passiert?! Nach dreißig Jahren Erfahrung! Warum hat er sich nicht vorstellen können, daß ihm Leute, Kollegen und Vorgesetzte, die schon immer darauf warteten, daß das Korrektheitsmuster Brauch einen Fehler machte, einen Fehler, den man ins Moralische zerren konnte, daß die diese Gelegenheit, sie verfälschend, ausbeuten würden! Jetzt, nachdem es passiert ist und die Presse Sachverhalte roh verkürzt und bös verdreht darstellt, daß er ein ertappter Geldganove sei, jetzt sagten die Freunde: Aber das hättest du doch wissen müssen! Karl bot ihm sofort die Partnerschaft an. Herr Brauch sagte nichts, nahm aber die von Karl angebotene Hand und hielt sie, nach Karls Eindruck, länger, als je jemand seine Hand gehalten hatte. Und Karl wußte: Mit diesem Mann nur Gutes. Die Firma mußte wachsen. Dazu war ein zweiter Mann nötig. Die Sekretärinnen wurden, wenn sie länger als fünf Jahre blieben, zu Teilhaberinnen gemacht! Das heißt, von jedem Monatsgehalt wurden zwanzig Prozent einbehalten, daraus wuchs die Beteiligung. Ohne einen Rechtsanspruch zu gewähren, hatte er beiden Sekretärinnen, als sie sich dazu entschlossen, das Gehalt um zehn Prozent erhöht, so daß sie nur auf zehn Prozent zugunsten ihrer Teilhaberschaft verzichteten. Berthold Brauch beteiligte sich sofort mit einhunderttausend, und pro Monat kamen aus seinen Bezügen eintausend dazu. Seine Rehabilitierung betrieb Herr Brauch weiter. Mit Muspillis Unterstützung. Bis schließlich die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte & Touche bestätigte, daß von einer Schädigung Dritter durch Berthold Brauch keine Rede sein könne: Der Preis für die Villa war marktgerecht. Und Muspilli höhnte über das moralische Dreitagefieber gewisser Bankkreise, die mit prinzipiell schlechtem Gewissen gegenüber der Öffentlichkeit gleich in rituelle Reinigungsorgien verfielen und ihre Compliance-Büros zur Heiligen Inquisition aufplusterten.
Daß Karl von Kahn der Einstellung des großschlanken Einunddreißigjährigen rückhaltlos zugestimmt hatte, war, genau wie die Aufnahme Brauchs als Partner, eine Instinkt- oder Gefühlshandlung gewesen. Er war kein Zitatenpflücker wie sein Freund Diego, aber er lehnte sich mit Wohlbehagen in Sätze von Menschen, die er nicht nur achtete, sondern liebte. Zum Beispiel Keynes, Sir John Maynard, von dem hierzulande im Populistengewäsch nur noch das Schlagwort deficit spending übriggeblieben ist. Bei Keynes hat er gelesen: Seine Instinkte sagen ihm, was er tun soll, aber er kann jederzeit eine Theorie dazu erfinden, um die Menschen zu überzeugen, daß, was seine Instinkte raten, richtig ist.
Jetzt war er wieder halbwegs bei sich und konnte aufbrechen.
5.
Wenn Anfang Mai die Abendsonne die Maximilianstraße ausleuchtet, kriegt die Protzmeile mit ihren vielen Rundbögen etwas Trauliches. Karl von Kahn fand, die Maximilianstraße sei von allen Protzmeilen, die er kannte, die liebenswürdigste. Die Brienner trumpfte doch ganz anders auf. Verglichen mit den Champs-Élysées oder der Regent Street oder dem
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