Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
Vorwort
Dieses Buch ist Ethnographie und Allegorie zugleich. Carlos Castaneda führt uns unter der Anleitung von Don Juan durch jenen Augenblick des Zwielichts, durch jenen Riß im Universum zwischen Tageslicht und Dunkel in eine Welt, die nicht nur anders als unsere ist, sondern von einer vollkommen verschiedenen Ordnung der Wirklichkeit. Er erreichte sie mit Hilfe von Mescalito, yerba del diablo und humito - Peyote, Datura und Pilzen. Aber dies ist nicht eine bloße Wiedergabe halluzinatorischer Erlebnisse, denn Don Juans kunstvolle Manipulationen haben den Reisenden geführt, während seine Interpretationen den Ereignissen Sinn gaben, die uns durch den Schüler des Zauberers zugänglich gemacht werden. Die Anthropologie hat uns gelehrt, daß die Welt an verschiedenen Orten unterschiedlich definiert wird. Es ist nicht nur, daß die Menschen unterschiedliche Gewohnheiten haben, daß sie an verschiedene Götter glauben und an das Leben nach dem Tode unterschiedliche Erwartungen stellen. Vielmehr haben die Welten verschiedener Völker ein unterschiedliches Aussehen. Die metaphysischen Voraussetzungen selbst unterscheiden sich: der Raum fügt sich nicht in die euklidische Geometrie, die Zeit bildet nicht einen ununterbrochenen Fluß in nur einer Richtung, die Ursachen des Geschehens erklären sich nicht aus der Logik des Aristoteles, der Mensch wird nicht vom Nicht-Menschen, das Leben nicht vom Tod unterschieden wie in unserer Welt. Einiges vom Wesen dieser anderen Welten zeigt sich uns in der Logik der dort gesprochenen Sprachen und in den von den Anthropologen aufgezeichneten Mythen und Zeremonien.
Don Juan hat uns Einblicke in die Welt eines Yaqui-Zauberers gewährt. Durch ihn »sehen« wir sie unter dem Einfluß halluzinogener Substanzen und erfassen sie in einer Wirklichkeit, die sich von jenen anderen Quellen völlig unterscheidet. Dies ist das besondere Verdienst dieser Arbeit.
Castaneda behauptet zu Recht, daß diese Welt trotz aller Unterschiede der Wahrnehmung ihre eigene innere Logik besitzt. Er versucht, sie von innen her zu erklären - sozusagen aus seinen eigenen reichen und stark persönlichen Erfahrungen unter der Anleitung von Don Juan -, statt sie in Begriffen unserer Logik zu untersuchen. Daß ihm dies nicht ganz gelingen kann, liegt an einer Begrenzung, die unsere eigene Kultur und Sprache der Wahrnehmung auferlegen, und nicht an seinen persönlichen Grenzen; und doch verbindet er für uns in seinen Bemühungen die Welt eines Yaqui-Zauberers mit unserer eigenen, die Welt nichtalltäglicher mit der Welt alltäglicher Wirklichkeit.
Die zentrale Bedeutung des Eintretens in Welten, die sich von unserer eigenen unterscheiden - und somit auch und besonders der Anthrepdegie -liegt in der Tatsache, daß das Erlebnis uns vor Augen führt, daß unsere eigene Welt auch ein kulturelles Gebilde ist Durch die Erfahrung anderer Welten sehen wir unsere eigene so, wie sie ist, und dadurch ist es uns auch möglich, flüchtig zu sehen, wie die wirkliche Welt - die Welt zwischen unserem eigenen kulturellen Gebilde und jenen anderen Welten -tatsächlich sein muß. Darum Allegorie und Ethnographie.. Die Weisheit und Poesie Don Juans und das Talent und die Poesie seines Schülers geben uns eine Sicht von uns selbst und von der Wirklichkeit Wie in jeder richtigen Allegorie liegt das, was einer sieht, beim Betrachter und bedarf hier keiner Erklärung. Carlos Castaneda begann seine Gespräche mit Don Juan, als er an der University of California in Los Angeles Anthropologie studierte. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet für seine Geduld, seinen Mut und seine Weitsicht bei seiner Suche und Annahme der Herausforderung seiner doppelten Lehre und für die Wiedergabe der Einzelheiten seiner Erlebnisse. In dieser Arbeit zeigt er die wichtigste Fertigkeit der Ethnographie - die Fähigkeit, in eine fremde Welt einzudringen. Ich glaube, er hat einen Weg mit Herz gefunden.
Walter Goldschmidt
Ein neues Vorwort
Anmerkungen des Autors zur Erstveröffentlichung von >Die Lehren des Don Juan: Ein Yaqui Weg des Wissens< vor dreißig Jahren
>Die Lehren des Don Juan: Ein Yaqui Weg des Wissens< wurde 1968 zum erstenmal veröffentlicht. Anläßlich des dreißigjährigen Erscheinungsdatums möchte ich ein paar klärende Anmerkungen zu dem Werk selbst machen und einige allgemeine Schlußfolgerungen zum Thema des Buches vortragen, zu denen ich nach Jahren ernsthafter und konsequenter Bemühung gelangt bin. Das Buch war aus einer
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