Angstblüte (German Edition)
Begegnung würzte er mit Vorwürfen. Du hast es für Besorgnis gehalten. Du hast geglaubt, er wolle dich vor etwas bewahren, wovon er nichts verstand. Plötzlich redete er trivialantikapitalistisches Zeug daher. Und zwar so, als hättest du dich von aller Gemeinsamkeit wegentwickelt. Du, der Geldverdiener schlechthin. Er bestand ja immer darauf, daß Geld nur ein Mittel zu edleren, schöneren Zwecken sei. Mit so jemandem wie mit dir konnte jemand wie er doch gar nicht befreundet sein. Er hat dich dann als NPL behandelt, mehr als ein Non Performing Loan warst du für ihn nicht mehr. Er zeigte dir, wie anstrengend es für ihn war, dir noch so zu begegnen wie früher. Daß er sich bei den täglichen Telefongesprächen schon früher nie erkundigt hat, was du gerade machtest oder nicht machtest, daran hattest du dich gewöhnt, das war eben Diego, dein Diego. Dann dieser spürbare Überdruß. Du hattest dich nicht verändert, er schon. Gundi! Die kulturelle Fraktion! Wenn er dich einlud, war immer deutlicher geworden, daß er dir eine Freude bereiten wollte. Zu ihm kommen zu dürfen war ein Geschenk. Er genoß es, der Schenkende zu sein. Diego war der bessere Mensch geworden. Dadurch, daß er dich, dein Tun und Lassen kritisierte, war er der bessere Mensch geworden. Politisch, moralisch, überhaupt. Je reicher er geworden ist, desto mehr hat er von Brüderlichkeit geredet. Die ganze Welt sollte brüderlich gestimmt sein. Bloß keine Gewalt mehr. Ach, Diego, Freund!
Vielleicht war Amadeus eingeweiht. Wenn du Karl das nächste Mal siehst, sagst du ihm, für wieviel verkauft wurde, erfahren wird er es sowieso, also am besten gleich, kurz und schmerzlos, kann Gundi gesagt haben. Hat Gundi gesagt. Und Amadeus hat mitgemacht. Im Vorbeigehen hat er Karl die Nachricht verpaßt. Causa finita.
Amadeus blieb nirgends lange. Selbst bei Empfängen verschwand er immer, sobald er sicher war, daß die, auf die es ihm ankam, ihn bemerkt hatten oder er die Meinung, die er in Umlauf setzen wollte, losgeworden war. Er war auf allen Empfängen und Konferenzen gegenwärtig.
Karl hatte Angst vor Amadeus Stengl. Daß Amadeus ihn jederzeit vernichten konnte, war sicher. Gundi hatte gesagt, wenn sie sich nicht beherrsche, sage sie: Liebster Karl, und Amadeus hat gesagt, wenn er sich nicht ganz arg beherrsche, sage er: Mein Liebster! Untersuche diesen Zusammenhang. Gundi fand Amadeus immer nur komisch. Amadeus redete über Gundi, wie man über die absolut Berühmten redet. Man läßt sie gelten und ist froh, daß man sie, da sie ja schon von allen bewundert werden, nicht auch noch bewundern muß. Sogar Mitgefühl kam vor, wenn Amadeus Gundi erwähnte. Als wäre es auch eine Last, so berühmt zu sein. Amadeus war nicht ganz so berühmt wie Gundi. Aber vielleicht prominenter als sie. Außer bei Gundi trat er in jedem Fernsehprogramm auf und war seiner saftigen Späße wegen genauso beliebt wie wegen seiner fein dosierten Bosheiten. Bei Gundi konnte er nicht auftreten, weil sie mit einigem Pathos immer wieder verkündete, Medien-Inzucht sei unanständig und langweilig und sei das einzige, was zugleich unanständig und doch langweilig sei. Außerhalb der Medien waren die beiden kompatibel, erzkompatibel sogar. Erfolg und Erfolg gesellt sich gern. Daß er heute seinen Abgang mit einer Anti-Gundi-Parade inszeniert hat, verrät schlechtes Gewissen. Er hat Gundi gehorcht, hat den Boten gespielt, aber das tut ihm leid. Das wäre, falls es so ist, sympathisch.
Zuerst war Amadeus nur der Herausgeber der Midas-Briefe gewesen, da hat er bewiesen, daß man Wirtschaftsnachrichten mit Geist und Witz verkaufen kann. Die Midas-Briefe schrieb und edierte er unter dem bedeutungsschwangeren Namen Muspilli. Jahrelang entwickelte er unter diesem Pseudonym seinen Anspruch. Erst als er dann im Fernsehen auftrat und auch eine Midas Home Page entwickelte, erfuhr man, daß Muspilli Amadeus Stengl war. Da war er schon eine Instanz. Daß er an einem Privatsender beteiligt sei, bestätigte er nicht. Die Vermutung blieb. Wenn er von einer Pressekonferenz oder von einem Ministerempfang rasch wieder verschwunden war, wurden Köpfe geschüttelt und böse Bemerkungen gemacht. Meistens sagte der, der so eine Bemerkung gemacht hatte, noch dazu: Aber ein Schatz ist er schon. Oder er sagte: Wenn es ihn nicht gäbe, müßte man ihn erfinden. Einer hatte gesagt: Er ist kein Tausendsassa, sondern ein Millionensassa. Das hielt sich. Karl sagte nie etwas über Amadeus, wenn der nicht dabei
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