Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
SAN JUAN, WINTER 1958
Anfang der Fünfziger, als San Juan eine Touristenstadt wurde, baute ein ehemaliger Jockey namens Al Arbonito eine Bar, die im Hinterhof seines Hauses in der Calle O’Leary lag. Er nannte sie Al’s Backyard. Über die Eingangstür hängte er ein Schild mit einem Pfeil, der den Weg an zwei baufälligen Gebäuden vorbei zum Hof markierte. Zuerst gab es bei Al nur Bier, die Flasche für zwanzig Cents; und Rum, den Schuß für zehn und mit Eis für fünfzehn Cents. Nach einigen Monaten begann er, selbstgemachte Hamburger zu verkaufen.
Es war ein angenehmer Ort zum Trinken. Vor allem morgens, wenn die Sonne noch kühl war und salziger Nebel vom Ozean heraufstieg und der Luft einen frischen, gesunden Geruch verlieh, der sich in den ersten Stunden des Tages gegen die dampfende, schweißtreibende Hitze behaupten würde, die San Juan gegen Mittag fest im Griff hat und bis lange nach Sonnenuntergang bleibt.
Auch am Abend war es dort ganz okay, nur nicht so kühl. Manchmal gab es eine leichte Brise, und normalerweise bekam die Bar etwas davon ab, dank ihrer nahezu perfekten Lage: auf der Spitze des Bergs, den die Calle O’Leary hinaufführt, so weit oben, daß man über die ganze Stadt hätte schauen können – wenn der Hof Fenster gehabt hätte. Doch der war von einer dicken Mauer umgeben, und man konnte nur den Himmel sehen und ein paar Bananenbäume.
Nach einiger Zeit besorgte sich Al eine neue Registrierkasse, dann kaufte er Schirmtische aus Holz für den Hof. Und
schließlich zog er mit seiner Familie aus der Stadt, vom Haus in der Calle O’Leary in eine neue Siedlung in der Nähe des Flughafens. Er stellte einen stämmigen Neger namens Sweep ein, der das Geschirr spülte, Hamburger servierte und irgendwann sogar kochen lernte.
Sein ehemaliges Wohnzimmer verwandelte Al in einen Live-Club, und er holte sich einen Pianisten aus Miami, einen dünnen Mann mit traurigem Gesicht, der Nelson Otto hieß. Das Klavier war ein altes Baby Grand, hellgrau lackiert und mit Spezial-Schellack überzogen, der die Oberfläche vor der aggressiven Salzluft schützen sollte. Es stand genau zwischen Cocktailbar und Hof – und sieben Abende die Woche, an zwölf Monaten des endlosen karibischen Sommers, setzte sich Nelson Otto an die Tasten, um seinen Schweiß mit den müden Akkorden seiner Musik zu mischen.
Im Fremdenverkehrsbüro erzählen sie gern vom kühlenden Passat, der die Küsten von Puerto Rico das ganze Jahr über umspielt, Tag und Nacht – doch Nelson Otto schien jemand zu sein, an dem der Passat einfach vorbeiwehte. In jenen schwülen Stunden kämpfte er sich durch ein Repertoire abgestandener Bluesnummern und sentimentaler Balladen, der Schweiß tropfte ihm vom Kinn und durchnäßte die Achseln seiner geblümten Baumwoll-Sporthemden. Er verfluchte die »gottverdammte Scheißhitze« so heftig und so voller Haß, daß es manchmal die Atmosphäre in der Bar zerstörte. Die Leute standen dann auf und gingen die Straße hinunter in die Flamboyan Lounge, wo die Flasche Bier auf sechzig Cents kam und ein Lendensteak auf drei fünfzig.
Als Lotterman, ein Exkommunist aus Florida, auftauchte und die SAN JUAN DAILY NEWS gründete, wurde Al’s Backyard allmählich zum englischsprachigen Presseklub. Keiner der Träumer und Herumtreiber, die für Lottermans neue Zeitung arbeiten sollten, konnte sich die »New York Bars« leisten,
die in der ganzen Stadt wie giftige Neonpilze aus dem Boden schossen. Die Reporter und Redakteure der Tagesschicht tröpfelten gegen sieben ein, und gegen Mitternacht kamen meistens die Letzten von der Nachtschicht – Sportredakteure, Korrektoren, Setzer. Ab und zu hatte jemand eine Verabredung, aber an normalen Abenden war ein Mädchen in Al’s Backyard ein seltener erotischer Lichtblick. Man sah ohnehin kaum weiße Mädchen in San Juan, und wenn, dann höchstens Touristinnen, Nutten oder Stewardessen. Kein Wunder, wenn sie lieber ins Spielkasino gingen oder in die Terrassenbar des Hilton.
Die unterschiedlichsten Typen begannen für die NEWS zu arbeiten: von jungen wilden Rebellen, die die Welt am liebsten in der Mitte auseinander gerissen und noch mal ganz von vorn angefangen hätten, bis hin zu bierbäuchigen alten Zeilenschindern, die nur ihre Ruhe haben und ihre letzten Tage retten wollten, bevor ein Haufen von Verrückten die Welt in der Mitte auseinander riß.
Es gab die ganze Packung. Echte Talente und anständige Männer genauso wie degenerierte und hoffnungslose
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