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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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zuvor, dann drei Jahre Talfahrt und Schluß. Karl von Kahn nahm Zahlen nie ganz ernst, weder positive noch negative. Es gibt einen Branchen-Masochismus, wie es das Gegenteil gibt. Die mehr als 150 Milliarden, die da vertan worden sind, verstand er als Melodie. Für ihn eine Glücksmelodie. Er hatte diesen Neuen Markt verschlafen. In seiner wöchentlichen Kunden-Post hatte er nachträglich den Vorteil des aktiven Verschlafens von trügerischen Möglichkeiten als eine Eigenschaft erklärt, die er fast ein Talent nennen möchte. Er jedenfalls wisse sein verläßliches Zuspätkommen zu schätzen. Er kannte seine Kunden, er wußte, sie würden diese seine Eigenschaft auch zu schätzen wissen.
    Daß Karl und Herr Brauch diesen großen Schlanken, aber kein bißchen Dürren fast zu bereitwillig aufgenommen hatten, war zwischen Brauch und Karl öfter besprochen worden. Karl mußte Herrn Brauch nachher doch noch erklären, warum er einfach zugestimmt hatte. Sein Beispiel: Professor Schertenleib. Dem habe er einmal geraten, für fast eine Million amerikanische Staatspapiere zu kaufen, zu einer Zeit, als die zehnjährigen US-Staatsanleihen als hoffnungslos galten. Er selber habe sich mit der gleichen Summe eingebracht. Und vierzehn Monate später waren fünfzehn Prozent Gewinn zu buchen. Man muß einfach ein Gefühl haben, das sich von Tatsachen nähren kann. Damals waren drei Viertel aller US-Staatsanleihen in japanischer Hand, die Amerikaner hätten ihre Defizite ohne die japanischen Anleihekäufe nicht finanzieren können, die Japaner wiederum verhinderten durch ihre Anleihekäufe, daß die Amerikaner ihre Auto-Exporte in die USA stören konnten, die Japaner würden also den Wert dieser Papiere pflegen. Und das taten sie.
    Nicht aussprechen konnte er hier im Konferenzraum, daß es sein Gefühl war, das auf Dr.   Dirk vertraute. Nichts als ein Gefühl. Eine Art Liebe. Wenn der Ikarus stürzte und er mit ihm, dann stürzten sie eben miteinander. Diese Vorstellung konnte er fast genießen. Allerdings war er, jedesmal wenn er Dr.   Dirk erlebte, auch einem Anfall von Trauer ausgesetzt. Warum hat Fanny keinem Dr.   Dirk begegnen können! Nirgends wird die brutale Gewalt des Zufalls so spürbar wie im Schicksal junger Frauen. Wem begegnen sie! Und wem nicht! Seine einzige Tochter war Tom begegnet. Im Tierasyl. Damit hört der Zufall schon auf. Er wollte einen Hund aus dem Asyl erlösen, sie wollte einen Hund erlösen. Dann erlösten sie zusammen einen Hund. Daß es den Tieren in der Großstadt schlechtgeht, brachte sie zusammen. Die wiedergewonnene deutsche Einheit riß beide in den Osten. Schließlich wurde daraus eine Hühnerfarm in Ribnitz-Damgarten. Ihre Hühner hatten es offenbar besser als alle Hühner der Welt. Entsprechend klein der Gewinn. Aber Tom war auch noch ehrgeizig. Er züchtete. Er wollte blinde Hühner züchten, die ertrügen damit ihr Stallschicksal konfliktlos, und das würde ihre Legequalität steigern und ihr Fleisch wäre weicher. Ins Unvorstellbare steigern, so zitierte Fanny ihren Mann, der, wenn Fanny es wieder einmal von Mecklenburg-Vorpommern nach München schaffte, nie mitkam. Er konnte seine Hühner nicht verlassen. Und das Zwillingspärchen Tanja und Sonja auch nicht. Daß die Zwillinge hatten, obwohl Karl weder in seiner noch in Henriettes Verwandtschaft je etwas von Zwillingen gehört hatte, kam ihm vor wie ein Zuchterfolg. Er wollte hoffen, Fanny sei, was man glücklich nennt. Dafür gab es einen drastischen Beweis. Tom war ein Stotterer. Und Fanny stotterte inzwischen auch. Und zwar glaubhaft. Oder sollte man sagen: authentisch. Karl wagte nie zu fragen, ob ihr das selber bewußt sei. Stottern ist nichts Schlimmes. Und für einen Hühnerfarmer in Ribnitz-Damgarten schon gar nicht. Warum soll ein Ehepaar nicht gemeinsam stottern? Karl beschloß, froh zu sein, daß Mecklenburg-Vorpommern eine Art Abgelegenheit verbürgte. Das Paar war dort wahrscheinlich keiner hämischen Neugier ausgesetzt.
    Aber diesen gelenkigen, schön kontrollierten, wörterreichen und vor Zukunftsfreude geradezu leuchtenden Dr.   Schlaks erleben zu müssen hieß Fanny bedauern. Das war ungerecht, anmaßend, borniert und sonst noch was. Aber es war so. Er hatte die Gründung der Hühnerfarm damals finanziert. Weitere Zuwendungen hatten sich beide verbeten. Er hatte für das Zwillingspärchen eine langfristige Anlage konstruiert. Ihre Ausbildung war, wenn nicht alles stürzte, gesichert. Aber … Schluß.
    Hör deinem Dr.

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