Anita Blake 05 - Bleich Stille
paar Meter weit rutschte. Ich erstarrte. Einen furchtbaren Augenblick lang glaubte ich, das hätte ihn umgebracht, aber er stöhnte und versuchte, sich aufzurichten. Ich sah an Larry vorbei und begegnete Jean-Claudes Blick. Er war seit Jahren hinter mir her, und jetzt wollte ich einen anderen Meistervampir seine Zähne in mich schlagen lassen.
Serephina riss mich herunter auf die Knie, quetschte meinen Arm so fest, dass ich dachte, sie hätte ihn mir gebrochen. Die Schmerzen ließen mich innehalten, und ich sah ihr in die Augen. Sie hatten ein massives, makelloses Braun, das tiefdunkel war. Diese Augen lächelten mich freundlich an.
Ich roch das Parfüm meiner Mutter, ihr Haarspray, ihre Haut. Ich schüttelte den Kopf. Es war eine Lüge. Alles war eine Lüge. Ich konnte nicht atmen. Sie kniete über mir, und als ihr Gesicht auf mich zukam, war es das dichte, schwarze Haar meiner Mutter, das mir gegen die Wange fiel.
»Nein! Das ist nicht wirklich!«
»Es kann so wirklich sein, wie du es haben willst, Nina.« Ich schaute zu diesen Augen auf und fiel in den- langen schwarzen Tunnel. Ich fiel den kleinen Flammen entgegen. Ich streckte die Arme danach aus. Sie würden mir die Hände wärmen, mein Herz trösten. Sie würden mein Ein und Alles sein.
Von Ferne wie aus einem Traum hörte ich Jean-Claude meinen Namen schreien. »Anita!« Aber es war zu spät. Ihr Feuer wärmte mich, ich fühlte mich heil. Die Schmerzen waren ein so geringer Preis dafür.
Der schwarze Tunnel brach hinter mir zusammen, bis da nur noch Finsternis und das Flimmern von Serephinas Augen waren.
39
Ich träumte, ich sei sehr klein. So klein, dass ich bei meiner Mutter auf den Schoß passte, nur meine Füße ragten über ihre Knie hinaus. Wenn sie die Arme um mich legte, war ich so geborgen, so sicher, dass mir nichts passieren würde, solange Mami bei mir war. Ich legte den Kopf an ihre Brust. Ich konnte ihr Herz schlagen hören. Ein starker, sicherer Rhythmus, der lauter und lauter gegen mein Gesicht klopfte.
Das machte mich wach. Aber ich war nicht wach. Die Dunkelheit war so undurchdringlich, es war, als wäre ich blind. Ich lag im Dunkeln in den Armen meiner Mutter. Ich war bei ihr und Papa im Bett eingeschlafen. Ihr Herz pochte an mein Ohr, und der Rhythmus war verkehrt. Mami hatte ein Herzgeräusch gehabt. Der Schlag ihres Herzens war den Bruchteil einer Sekunde langsamer, ein Zögern, dann zwei schnelle Schläge zum Aufholen. Das Herz an meinem Ohr schlug so regelmäßig wie eine Uhr.
Ich versuchte, mich aufzurichten, weg von ihr, und stieß mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Ich fuhr mit den Händen über den Körper, an den ich gedrückt war. Ich fühlte ein Seidenkleid mit aufgenähten Perlen. Ich lag da in völliger Dunkelheit und versuchte, mich von ihr herunterzurollen. Ich rutschte in ihre Armbeuge. Ihre nackte Haut berührte meine bloßen Schultern, knochenlos wie die Toten, aber ihr Herz erfüllte die Dunkelheit, während ich versuchte, jede Berührung mit ihr zu vermeiden.
Wir lagen aneinander geschmiegt. Das war kein Sarg für zwei. Plötzlich brach mir der Schweiß aus. Die Dunkelheit war erstickend eng und heiß. Ich konnte nicht atmen. Ich wollte mich auf den Rücken drehen, mich von ihr wegdrehen und konnte es nicht. Da war nicht genug Platz.
Jede kleine Bewegung brachte ihren knochenlosen Körper in Wallung, die weiche, lose Haut zum Wackeln. Ich roch nicht das Parfüm meiner Mutter. Ich roch altes Blut und einen schalen, würgenden Gestank, der mir bekannt vorkam. Vampire.
Ich schrie auf und stemmte mich hoch, um ein bisschen Abstand zu kriegen, und der Deckel bewegte sich. Ich drückte mit dem Rücken gegen das seidengefütterte Holz. Der Deckel knallte auf den Boden, und ich saß plötzlich rittlings, halb im Liegestütz auf ihr.
Ein schwaches Licht beschien ihr Gesicht. Das sorgfältige Make-up sah falsch aus, wie bei einer schlecht hergerichteten Leiche. Ich kletterte aus dem Sarg, fiel beinahe.
Serephinas Sarg stand auf der Bühne des Bloody Bones. An deren Fuß lag Ellie zusammengerollt. Ich ging um sie herum, halb in der Erwartung, dass sie meine Knöchel packte, aber sie rührte sich nicht. Nicht einmal um zu atmen. Sie war erst seit kurzem tot, und das wahrhaftig, sobald die Sonne aufgegangen war.
Serephina atmete ebenfalls nicht, aber ihr Herz schlug ganz lebendig. Wieso? Zu meinem Trost? Wegen meiner Berührung? Ich hatte keine Ahnung.
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