Anleitung zum Alleinsein
ein Fernsehproduzent und sein Kameramann, wie ich über den Mississippi auf St. Louis zufahren und was ich ungefähr dabei empfinden soll.
«Sie kehren auf einen Besuch zurück», sagen sie. «Sie sehen die Skyline und den Arch.»
Der Kameramann, Chris, ist ein breitbrüstiger, rotgesichtiger Einheimischer mit einheimischem Akzent. Der Produzent, Gregg, ist ein großer, gutaussehender Kosmopolit mit Dressman-Locken. Durch das Fenster meines Mietwagens reicht er mir ein Walkie-Talkie, über das ich mit ihm und dem Team kommunizieren soll; sie werden mir in einem Minivan folgen.
«Sie fahren eher langsam», sagt Chris, «auf der zweiten Spur von rechts.»
«Wie langsam?»
«So um die fünfzig.»
In der Ferne auf den Hochstraßen, von denen die Poplar Street Bridge gespeist wird, ist der Pendlerverkehr noch immer stark. Es hat einen Hauch von Illegalität, wie wir uns so am Straßenrand besprechen, hier, inmitten des Ödlands von East St. Louis, in dem sich eine Leiche gut loswerden ließe, aber wir machen nichts moralisch Zweifelhafteres als Aufnahmen fürs Fernsehen. Etwaige Pendler, die wir behindern könnten, wüssten das natürlich nicht, aber wenn sie es wüssten – wenn sie den Namen «Oprah» hören würden –, hätten die meisten gegen die Behinderung wohl weniger einzuwenden.
Nachdem ich das Walkie-Talkie getestet habe, fahren wir zueiner Auffahrt zurück. Ich habe die Nacht in St. Louis verbracht und die Brücke nur deshalb überquert, um diese Einstellung zu inszenieren. Ich bin ein Mittelwestler, der seit vierundzwanzig Jahren an der Ostküste lebt. Ich bin ein grantiger Manhattaner, der sich mit einem anscheinend mittelwestlichen Kooperationseifer bereit erklärt hat, so zu tun, als käme er in die mittelwestliche Stadt seiner Kindheit und sähe sie sich mit neuen Augen an.
Der Verkehr stadteinwärts ist dichter, als er es stadtauswärts war. Ein Drängler betätigt die Lichthupe, als ich abbremse, um den Kamerawagen links von mir auf meine Höhe kommen zu lassen. Seine Schiebetür ist offen, und Chris lehnt sich, die Kamera auf der Schulter, heraus. Auf der rechten Spur nähert sich ein Sattelschlepper, bald wird er überholen.
«Sie müssen das Seitenfenster runterkurbeln», sagt Gregg über das Walkie-Talkie.
Ich kurble das Fenster herunter, und meine Haare flattern.
«Langsamer, langsamer», blafft Chris über den flirrenden Asphalt.
Ich gehe vom Gas, sehe die Straße vor mir leer werden. Ich bin langsam, und die Welt ist schnell. Der Sattelschlepper ist jetzt auf gleicher Höhe und verdeckt den Gateway Arch und die Skyline, zu der ich hinsehen soll.
Chris, mit der Kamera aus dem Wagen gelehnt, brüllt zornig oder verzweifelt über den Autolärm hinweg: «Langsamer! Langsamer!»
Ich habe eine krankhafte Abneigung dagegen, den Verkehr aufzuhalten – ein Erbe vielleicht von meinem Vater, für den ein Abend im Theater zur Qual wurde, wenn jemand hinter ihm saß, der kleiner war als er –, aber ich gehorche dem gebrüllten Befehl, worauf der Sattelschlepper zu meiner Rechten an mir vorbeidonnert und just in dem Moment, wo wir die Brücke verlassen und gen Westen fahren, den Blick auf den Arch freigibt.
Als wir dann übers Walkie-Talkie den zweiten Take besprechen,erklärt mir Gregg, Chris habe nicht mich angebrüllt, sondern seinen Assistenten, der am Steuer des Mini-Van sitzt. Jedes Mal, wenn ich langsamer gefahren sei, hätten auch sie langsamer werden müssen. Ich komme mir blöd vor, bin aber froh, dass niemand dabei ums Leben gekommen ist.
Beim zweiten Take bleibe ich auf der rechten Spur und krieche halb so schnell wie erlaubt dahin, bemüht, ein – ja was? schriftstellermäßiges? neugieriges? wehmütiges? – Gesicht zu machen, während der Trucker hinter mir Stoß um Stoß aus seiner Fanfare ablässt.
Vor dem historischen Gerichtsgebäude von St. Louis, wo der Prozess gegen den Sklaven Drett Scott stattgefunden hat, warten Chris, sein Helfer und ich gespannt, bis Gregg mit der Durchsicht des neuen Materials auf einem Sony-Handmonitor fertig ist. Seine schönen Haare fallen ihm immer wieder ins Gesicht und müssen zurückgeschüttelt werden. Östlich des Gerichtsgebäudes ragt der Arch über einem angepflanzten Eschenwäldchen auf. Ich habe einmal einen Roman geschrieben, in dessen Zentrum diese mahnende Edelstahlikone meiner Kindheit steht, ich habe einmal den Arch und die Countys, die ihn umgeben, mit Geheimnis und Seele aufgeladen, doch an diesem Morgen
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