Anleitung zum Alleinsein
Selbstzensur» an, die manchen Schriftstellern in den finsteren Zeiten vor 1960 widerfuhren, und sie verweist auf die bösen Mächte (Puritanismus, Fundamentalisten, sexuell repressive Regierungen), die unsere zerbrechliche Freiheit bedrohen. Obwohl auch sie wie Dr. Block kurz den Reiz erwähnt, den ein Tabu erzeugt («Jetzt, wo wir alles sagen können, was bleibt da noch zu sagen?»), würde die Weiterführung dieses Gedankens ihr Projekt untergraben, alsolässt sie ihn fallen. Ähnlich unwohl ist ihr bei der Erkenntnis, dass sich das technische Handwerk beim Verfassen von Sexszenen von der ungleich größeren Herausforderung, gute Literatur zu schreiben, ebenso wenig trennen lässt wie die Beherrschung von Sextechniken von der Herausforderung, jemanden zu lieben. Gut über Sex zu schreiben hat, wie sich herausstellt, eine Menge mit gutem Schreiben überhaupt zu tun. Es beinhaltet, so Benedict, «Spannung, dramatischen Konflikt, Figurenentwicklung, Einsichten, Metaphern und Wendepunkte». Diese Eigenschaften entsprechen den Langsamen und Schnellen Ein- und Zweihändern, auf die sie in unterschiedlichen Kombinationen das ganze Buch hindurch zurückgreift. Meiden Sie Klischees, rät sie – oder geben Sie ihnen wenigstens «einen besonderen Pfiff». Versuchen Sie, «den Text interessant» zu machen. Und nicht vergessen: «Sie brauchen nicht explizit zu sein, genau aber schon.» Und wenn’s nicht passt, machen Sie’s nicht zur Last.
Zwar glaubt Benedict, dass sie den Leser von den «Dämonen» der Selbstzensur befreien kann, doch wie das genau passieren soll, bleibt undeutlich. An einer Stelle suggeriert sie, die Befreiung sei schlicht und ergreifend eine Frage des Mumms: «Frage: Wer sind Ihre Zensoren, und wie bringen Sie sie zum Schweigen? Antwort: Tun Sie’s doch einfach.» Doch ein Buch, das uns die «Erlaubnis zum Genießen» neuer Möglichkeiten erteilen will, erfordert jemanden, der es uns exemplarisch vormacht, und wie bei Betty Dodson, deren
Sex for One: Die Lust am eigenen Körper
vor allem die beruflichen Triumphe Betty Dodsons verbreitet, ist das Werk, für das Benedict sich am meisten interessiert, das eigene. Vier längere Passagen aus ihren Titeln nimmt sie in ihr Buch auf und rühmt sie mit charmanter Unbefangenheit. («Diese Szenen sind emotional sehr komplex …») Gleichzeitig erinnert sie uns gern daran, dass sie
ihr
Können nicht einem Handbuch verdankt. In ihrem eigenen Werk, sagt sie, habe sie «nicht absichtlich versucht, Konflikte zu kreieren oder Wendepunkte einzubauen» –obwohl sie jetzt natürlich erkenne, «wie wichtig solche Elemente sind».
Der Betrug von
Erotik schreiben
ist mieser als der von Sexratgebern, da im Bett jeder ein König und jede eine Königin, im Leben aber nicht jeder ein erfolgreicher Romanautor sein kann. Nietzsche sagte: «Allerwelts-Bücher sind immer übelriechende Bücher: der Kleine-Leute-Geruch klebt daran.» Die Wahrheit könnte natürlich sein, dass ich keinen Größeren habe als ein anderer. Aber wer will schon eine solche Wahrheit wissen? So wie jeder Liebhaber irgendwann glaubt, dass es so, wie er es macht, nirgendwo sonst auf dem Planeten gemacht wird, klammert sich auch jeder Künstler verzweifelt an die Illusion, dass die Kunst, die er schafft, wesentlich, notwendig und einzigartig ist.
Ästhetischer Elitismus, sexueller Snobismus: diese Haltungen sind nicht so tadelnswert, wie unsere Kultur sie erscheinen lässt. Es sind die Bemühungen des Einzelnen, sich in dem herrschenden Getöse einen kleinen privaten Raum zu bewahren. Alle sollten elitär sein – und es für sich behalten.
Der einzige willkommene Dienst , den Benedict in
Erotik schreiben
leistet, ist die chirurgische Herauslösung von Sexszenen aus ihrem jeweiligen Kontext. Je expliziter die unanständigen Stellen in einem Roman sind, desto mehr, glaube ich, betteln sie darum, herausgelöst zu werden. Zu meiner Teenagerzeit waren Romane trojanische Pferde, mit deren Hilfe gelegentlich ein erotischer Kitzel in mein behütetes Leben gelangte. Im Lauf der Jahre jedoch fürchtete ich zunehmend das Nahen von Sexszenen in ernster Literatur. Vielleicht ist das ja der orgasmische Kollaps: Je fesselnder die Geschichte, desto mehr fürchte ich es. Oft nehmen die Sätze dann eine Joyce’sche Länge an. Meine Furcht steigt mitfühlend mit der des Autors, und schon bald wird die empfindlicheBlase der Phantasiewelt von den harten Erfordernissen des Benennens von Körperteilen und -bewegungen
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