Anleitung zum Alleinsein
durchnässten Nichtrepublikanern um Beifall buhlten. Schlimmeres Wetter war vorstellbar: Es hätte noch stärker regnen können. Wenn Sie das Glück gehabt hätten, mit einem besonders langsamen Bus gefahren zu sein, und Sie sehr spät angekommen wären, wären Ihnen vielleicht nur die kleineren Finger abgefroren gewesen, als Sharpton schließlich ans Mikrofon trat und Sie gegen Ihren Willen mit der Kürze und Wucht seiner Brandrede aufwühlte. Da im Regen, zwischen den schlaffen Transparenten (
«Hail to the Thief!»
und
«The People Has Spoken – All Five of Them»
) und den regenbeperlten Gläsern von Bertolt-Brecht-Brillen, hätten Sie sich vielleicht sogar für die fieseren Tiefschläge erwärmt – beispielsweise seine Aufforderung an George «Dubya» Bush, mehr zu tun als «get messy with Jesse», oder sein kalkuliertes Stottern bei «Clarence T – Tom – Thomas».
Die Menge strahlte, als eine Kolonne gebildet und langsam die Maryland Avenue entlangmarschiert wurde, um den Obersten Gerichtshof zu umrunden. Wenn Sie dabei gewesen wären, hätte Sie wohl das unaufhörliche Skandieren von
Racist, sexist, anti-gay
GEORGE BUSH, go away!
und
Hey, Dubya, what do you say –
How many votes did you steal today?
aufwühlen können, selbst wenn Sie gar nicht glaubten, dass George Bush bigott ist oder dass er an dem Tag Stimmen gestohlen hat. Vielleicht waren Sie vor langer Zeit bei Kundgebungen an der Highschool ja auch einmal ähnlich gespalten. Vielleicht wären Sie, selbst wenn die Cheerleader in dieser Menge statt Buchstabenpulli und Faltenrock Dreadlocks und Lederhose sowie jene bemüht wirkende Button-Sammlung (jenes rosenkranzartige Sammelsurium ideologischer Lippenbekenntnisse) trugen, noch einmal begeistert und abgestoßen zugleich gewesen. Doch als sich auf dem Gehsteig, der um den Obersten Gerichtshof herumführt, durchweichte Demonstranten drängten und aus dem Sprechgesang ein Congabeat von
THIS is what dem-oc-racy looks-like,
THAT is what hyp-oc-risy looks-like
wurde und Hunderte nasser Arme bei jedem «
THAT »
auf das Gericht zeigten, wäre Ihre Irritation über die Selbstgefälligkeit des THIS vielleicht von einem jähen, überwältigenden Groll über das THAT hinweggefegt worden: das marmorne Gerichtsgebäude, das stumm, unbeleuchtet, ohne Reaktion hinter einer Phalanx aus Polizisten mit Schutzhelmen aufragte. In dem Moment wären Sie vielleicht froh gewesen, mitgefahren zu sein.
Aber dann, während die Kolonne weiterzog und Sie die südöstliche Ecke des Gerichts umrundeten, hätten Sie vielleicht die zutiefst merkwürdige Erfahrung gemacht, sich selbst dabei zuzusehen, wie Sie sich selbst zusehen. Dort, im Florida House auf der anderen Seite der Second Street, hinter hohen, mit patriotischen Fahnen behängten Fenstern, warteten Männer und Frauen darauf, dass die Party begann, und sie trugen jene Art von Kleidung und Schuhen, die Sie zu Hause gelassen hatten, aßen jene Art von Essen, das Sie in der Woche davor fast allabendlich in Restaurants gegessen hatten, tranken jene Art von hochprozentigenSachen, nach denen es Sie plötzlich dürstete, und spähten mit einer Mischung aus Neugier, Furcht und Befriedigung auf die durchweichte Kolonne der Marschierenden, dessen lebender Teil Sie wenigstens irgendwie, wenn auch nur für einen Augenblick, und dennoch nicht gänzlich widerstrebend waren.
Die Rückfahrt dauerte sieben Stunden. Die Jungsozialisten – ein Techniker von Verizon, ein Barmann, der früher an der Brown University ein Fußballstar gewesen war, ein Lehrer im ersten Berufsjahr – verglichen Mobiltelefone, lasen gekürzte Ausgaben von Marx («Das erspart einem zwei Jahre Lektüre von drei Bänden
Kapital
»), lobten einmütig die T V-Serie
Friends
und stritten sich, die einen strikt hetero, die anderen homo, über die Vorzüge von
Xena, die Kriegerprinzessin
. Wenige Freuden kommen einer solchen Busfahrt im Dunkeln gleich, Stunden verspätet und mit Leuten, mit denen man heftigst einer Meinung ist. Aber schließlich, zwangsläufig, wird man wieder in der Stadt abgeladen. Der Regen friert auf dem Asphalt, Schnee bedeckt den Matsch. Sie werden vielleicht, solange Sie noch auf die U-Bahn warten und nach Hause fahren, eine Variante Ihrer selbst sein, die Bus-Variante, eine Variante, die jünger und linker ist. Aber dann schälen Sie die noch feuchten Thermoschichten der Kleidung dieses langen Tages ab, und Sie sehen eine völlig andersartige Kleidung
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