Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
eigentlichen Dieb oben auf dem Deich und hörte sich dessen Lebensgeschichte an. Er weinte, und Holger tröstete ihn.
Ja, die Welt war schlecht. Nicht mal als richtiger Taschendieb konnte man in Ostfriesland etwas werden.
Ubbo Heide verteilte jetzt Flaschenbier an alle und verabschiedete den hilfreichen Lederjackenmann, indem er ihm ein Jever ausgab und mit ihm anstieß. Die beiden prosteten sich zu und tranken aus der Flasche. Dann sagte Ubbo Heide: »Komische Situation. Die halbe ostfriesische Kripo feiert hier, aber die Taschendiebe werden von einem Journalisten und einem Maurer gefangen.«
Der Mann, der Ubbo Heide geholfen hatte, das Bier zu tragen, grinste, hob die Flasche und sagte: »Darauf trinken wir aber jetzt mal einen.«
Die rothaarige Claudia hatte sich durch die Menge zum Lederjackenmann vorgearbeitet. Die Blicke ihres Freundes verfolgten sie eifersüchtig.
»Was ist jetzt?«, fragte sie ein bisschen angenervt. »Gehen wir zu dir oder zu mir?«
Holger Bloem brachte »seinen Jungen« jetzt auch mit. Sie gingen nebeneinanderher wie Vertraute. Auch er wollte sich bei Monika entschuldigen, aber einen kleinen aufmunternden Anstupser von Holger brauchte er doch noch, bevor er den Mund aufbekam.
»Eigentlich«, sagte Ann Kathrin, »müssten wir die Jungs jetzt festnehmen. Das ist doch auch eine pädagogische Frage.«
Die drei standen bibbernd, mit weit aufgerissenen Augen, da.
Weller kramte in seiner Tasche und suchte in seinem Hochzeitsanzug seinen Polizeiausweis.
»Die sind nämlich von der Kripo«, erklärte Rita Grendel, zeigte auf Weller und sagte: »Der findet nur gerade seinen Ausweis nicht.«
»Aber ich finde«, sagte Weller, »wir sollten sie laufenlassen. Immerhin ist heute unser Hochzeitstag.«
Ubbo Heide lachte. »Schöne Art, seine Hochzeit zu feiern. Anlässlich der Vermählung von Frank Weller und Ann Kathrin Klaasen ließ die ostfriesische Polizei sämtliche Taschendiebe und Kleinkriminelle an diesem Feiertag laufen …«
Ubbo Heide krümmte sich vor Lachen über seinen eigenen Witz.
Die drei Jungs erkannten ihre Chance und rannten los.
»Immerhin«, stellte Ann Kathrin fest, »so klug sind sie, dass jeder in eine andere Richtung rennt.«
Ihr kriegt mich nie, dachte der Lederjackenmann. Ihr nicht. Und er atmete noch einmal tief ein. Es roch nach verbranntem Fleisch, und das kam bestimmt nicht von der Bratwurstbude.
Als Rupert am nächsten Morgen ungeküsst, aber mit einem Riesenkater wach wurde, lag er in Norddeich zwischen zwei Sanddünen. Zwischen seinen Zähnen knirschte es. Sein Mund war trocken wie eine Wüste, seine Kleidung aber feuchtnass vom Morgentau. Er war durchgefroren und zitterte.
Magisch zog die Feuersglut ihn an. Zunächst auf allen vieren, dann aufrecht gehend, näherte er sich. Mit ihm standen fünf, sechs Übriggebliebene und zwei Wächter des Feuers und wärmten sich an der Glut. Es war ein saukalter Morgen, wie sie sich gegenseitig versicherten.
Was Rupert dann sah, schrieb er zunächst seinem Blutalkoholgehalt zu. Da unten aus der Glut ragte etwas heraus, und es sah aus wie die verkohlten Knochen eines menschlichen Fußes.
Rupert fehlten die Worte, und der Sand im Mund machte ihm das Sprechen schwer. Er zeigte nur stumm auf den Fuß. Dann erstarrten die Männer neben ihm.
Eigentlich wollten sich Weller und Ann Kathrin zur Hochzeit gemeinsam ein neues Auto schenken und damit ihre Hochzeitsreise antreten. Die Reise sollte an die Ostsee gehen, nach Hohwacht ins Hotel Genueser Schiff.
Im Autohaus Immoor in Lütetsburg fanden sie einen Jahreswagen, der beiden auf Anhieb gefiel. Ein Citroën Picasso. Doch Weller musste nicht mal auf sein Konto sehen, um zu wissen, dass er keinen ernsthaften Beitrag dazu würde leisten können, während Ann Kathrin bei der Sparkasse Aurich-Norden genügend Euro auf dem Tagesgeldkonto hatte, um zwei solcher Autos zu finanzieren.
Weller fand, in diesen schweren Zeiten sollte man sein Geld lieber in Sachwerten anlegen, denn er hatte einen Filmbericht gesehen, in dem eine Hyperinflation angekündigt wurde. Seitdem drückten ihn seine Schulden nicht mehr so sehr, denn die würden ja durch die Inflation auch an Wert verlieren, hoffte er.
Weller vermutete, dass Ann Kathrin den Wagen schon allein deswegen liebte, weil er Picasso hieß und der Namenszug des von ihr verehrten Meisters silbern auf dem Wagen glänzte. Aber als sie ihren froschgrünen Twingo in Zahlung geben sollte, hatte sie plötzlich Tränen in den Augen. Sie
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