Riyala - Tochter der Edelsteinwelt 1: Kristallmagie: Fantasy (German Edition)
1. Kapitel: Frei
Der silbergraue Raubvogel stieß sich von ihrem lederumhüllten Unterarm ab und flog. Sie hörte seinen rauen Schrei ... dann flog der Falke in den tiefblauen Himmel hinein, und seine schlanke Silhouette schrumpfte rasch zu einem Punkt zusammen.
Riyala, Tochter der Matriarchin und des Heros der Stadt Co-Lha, seufzte tief auf. Wie sehr wünschte sie sich, es dem Vogel gleichtun zu können ...! Einfach weg von hier. Auf und davon.
Doch schon seit geraumer Zeit war es ihr nicht mehr erlaubt, die Stadt zu verlassen. Ihr blieb nichts, als hier an den äußeren Zinnen des Burgturms zu stehen und sehnsüchtig dem Falken nachzuschauen ... nicht sehr lange, und er würde zurückkehren, eine kleine Beute in den Fängen, denn sie hatte ihn sehr gut abgerichtet. Markho, der Falkner, hatte sie alles gelehrt, was er selber wusste.
Riyala stützte beide Ellbogen auf die Mauer und schaute verdrossen in die Tiefe. Jenseits des breiten, ausgetrockneten Grabens, der sich um die gesamte Stadt zog, sah sie wieder einmal ein Grüppchen von Landvolk-Bettlern. Die Leute lungerten da herum in der Hoffnung, dass ihnen eine mitleidige Seele unter den Zinnenwächtern Essensreste herunterwerfen würde. Das geschah in letzter Zeit nicht mehr sehr oft, da man sich sogar innerhalb der Stadt Co-Lha genötigt sah, die Nahrungsmittel zu rationieren. – Einmal innerhalb eines Mondzyklus ließ der Heros, Riyalas Vater, trotzdem immer noch eine größere Ladung Nahrungsmittel in Körben von der Stadtmauer herab, um die schlimmste Not der „Draußen-Menschen“ zu lindern. Es war zwar wenig mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber immer noch besser als nichts.
Riyala beobachtete die Armen dort unten und verspürte plötzlich Durst. Sie griff nach der Lederflasche an ihrem Gürtel und nahm einen tiefen Schluck vom kühlenden Nass. Es schmeckte ein kleines bisschen brackig, und sie rümpfte ihre schmale Nase.
In der Stadt musste man immer tiefer bohren, um das Wasser aus den Brunnen zu fördern. Jedoch deutete nichts darauf hin, dass die Brunnen etwa am Versiegen gewesen wären, und man konnte das Wasser mit Kräutern würzen, um den schlechten Geschmack zu überdecken. Riyala wusste zwar, dass die landbebauenden Co-Lhaner sogar viele Meilen zurücklegen mussten, um noch Wasser zu finden, aber sie verschwendete kaum einen Gedanken daran.
Was sie viel mehr beschäftigte, war ihre eigene Langeweile. Aus den Falten ihres mit Gold und Silber bestickten Gewandes zog sie einen kleinen Spiegel hervor und betrachtete ihr Gesicht. Sie wusste, dass sie sehr hübsch war mit ihren ebenmäßigen Zügen, den hohen Wangenknochen und ganz leicht schräggeschnittenen Augen von türkisgrüner Färbung. Ihr zarter und heller Teint ließ ihre Lippen, ihre zierlichen Augenbrauen und die blauschwarzen Wimpern gut zur Geltung kommen. Das lange Haar – links silberblond, rechts kupferrot – war zu zwei ordentlichen Zöpfen geflochten.
Heute funkelten ihre Augen besonders erlebnishungrig, fand Riyala – sie musste raus aus der Mondburg, sie wollte sich amüsieren und ablenken, endlich einmal etwas anderes sehen! Wenigstens in der von Menschen überfüllten Stadt durfte sie ja noch umherschlendern, wenn sie sich nur einen überzeugenden Vorwand ausdachte.
In diesem Moment sah sie ihren Falken zurückkommen. Mit schnellen, kreisenden Flügelschwüngen kam er näher, so wie immer, und seine junge Herrin streckte bereits ihren Arm aus. Doch urplötzlich, als habe ihn etwas erschreckt, machte der Raubvogel eine scharfe Kehrtwendung und stieß einen schrillen Ruf aus.
Was war nur los mit ihm? Riyala runzelte ihre glatte Stirn und blickte sich nach allen Seiten um, konnte aber nichts Furchteinflößendes entdecken. Und ihr Falke besaß ein mutiges Herz; noch nicht einmal Blaue Riesenadler konnten ihn in Schrecken versetzen.
Für einen kurzen Moment fühlte sich das Mädchen wie von einem gestaltlosen Schatten kommenden Unheils berührt.
War es nicht so gewesen, als habe der Falke Angst vor ihr, Riyala, gehabt ...?
Dann war diese flüchtige Empfindung schon wieder vorüber.
Der Falke verschwand über den Dächern der Stadt.
„Riyala! Riyala! Ja wo bleibt Ihr denn, mein Kind?“
Beim Klang dieser Stimme drehte sich Riyala rasch um und sah ihre rundliche Dienerin Lania, die soeben um die Wölbung des Burgturms herumkam. – Wie bei allen älteren Co-Lhanern hatte Lanias Haar eine einheitliche Farbe angenommen; in ihrem Fall mausbraun. Sie trug es
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